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GastkommentarReallabore: Therapie gegen den drohenden Regulierungsinfarkt

Andere Länder nutzen längst Testumgebungen für Innovationen. Wir sollten nachlegen, denn sie ermöglichen moderne Regulierung und weniger Bürokratie, meinen Roland Koch und Thomas Weck. 28.10.2025 - 04:09 Uhr Artikel anhören
Die Autoren: Roland Koch (r.) ist Management-Practice-Professor am Frankfurt Competence Centre for German and Global Regulation (FCCR) der Frankfurt School of Finance & Management.
Thomas Weck ist Associate Professor am selben Institut. Foto: obs, picture alliance / HMB Media, PR

Die klassische, hierarchische Regulierung stößt angesichts komplexer und dynamischer Entwicklungen wie Digitalisierung, Mobilität oder Energiewende immer mehr an ihre Grenzen. Doch auch auf dem Weg zu einer modernen Regulierung etabliert sich eine neue Methode: Reallabore, auch „Sandboxes“ oder „Regulierungslabore“ genannt.

Sie schaffen zeitlich und räumlich begrenzte Ausnahmen vom geltenden Recht, um neue Technologien, Verfahren oder Organisationsformen unter realen Bedingungen zu erproben. Das Ziel ist, eine  innovationsfreundliche und zugleich rechtssichere Regulierung zu ermöglichen.

Industrie und Verwaltung fordern Reallabore, um Innovationen zu fördern und schneller handlungsfähig zu werden. Unternehmen sehen darin einen Weg, regulatorische Risiken zu begrenzen und ihre Resilienz im Standortwettbewerb zu sichern.

Kommunen erhoffen sich Spielräume, um praxisnäher und bürgerfreundlicher zu agieren. Auch sie wollen Hindernisse durch komplexe Genehmigungsverfahren oder veraltete Regelwerke überwinden.

Vorbild Ausland

Ein Blick ins Ausland zeigt, dass Deutschland dabei aufholen muss. Frankreich erlaubt zeitlich befristete Erprobungen durch „ordonnances“ auf Basis parlamentarischer Ermächtigungen und zieht die Erkenntnisse systematisch in den Gesetzgebungsprozess ein.

In den USA nutzen Behörden sogenannte „Waiver“-Ausnahmen, um Innovationen befristet zu testen, etwa im Sozial- oder Umweltrecht. Japan wiederum hat einen klaren gesetzlichen Rahmen geschaffen, der technologische Innovationen ermöglicht, aber zugleich auf Transparenz, Sicherheit und Evaluation verpflichtet.

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Diese Modelle zeigen: Reallabore können funktionieren – wenn sie in eine klare rechtliche Architektur eingebettet sind.

Der aktuelle Gesetzentwurf der Bundesregierung (ReallaboreG) bleibt hinter diesen Ansätzen deutlich zurück. Er erschöpft sich weitgehend in Definitionen und der Einrichtung eines Innovationsportals, ohne den entscheidenden Schritt zu gehen: den Aufbau eines echten Rahmens für regulatorisches Lernen. Damit droht er das politische Ziel zu verfehlen – und Reallabore auf ein politisches Schlagwort zu reduzieren.

Die Regeln bestimmt nicht nur die Verwaltung

Erforderlich wäre die Einführung einer zentralen Generalklausel im Verwaltungsverfahrensgesetz. Diese sollte Behörden erlauben, in einem vorab allgemein und klar definierten, zeitlich begrenzten Rahmen Abweichungen vom geltenden Recht zuzulassen, sofern das Vorhaben dem öffentlichen Interesse und genau definierten Innovationszielen dient.

Allerdings dürfen die wesentlichen Regeln nicht allein der Verwaltung überlassen werden. Auch deutsche Verfassungsprinzipien, insbesondere der Gesetzesvorbehalt und das Bestimmtheitsgebot, müssen beachtet werden.

Der Gesetzesvorbehalt besagt, dass der Staat nur dann in ein Grundrecht eingreifen darf, wenn dies durch ein Gesetz erlaubt ist. Das Bestimmtheitsgebot besagt, dass Gesetze und Verwaltungsakte so klar und präzisen formuliert sein müssen, dass die Bürger sie verstehen können.

Die Generalklauseln müssten zudem um Experimentierklauseln ergänzt werden, die den konkreten Umfang der Regulierungsbefreiung sowie Evaluations- und Monitoringpflichten je nach Branche festlegen.

Die Entscheidung der federführenden Behörde sollte für alle beteiligten Stellen verbindlich sein, um Bürokratie abzubauen und Verfahren zu beschleunigen. Denn gerade bei komplexen Projekten – etwa im Energiesektor, bei autonomen Fahrzeugen oder im Infrastrukturausbau – sind bei der Regulierung regelmäßig Dutzende Behörden beteiligt. Ohne eine verfahrensrechtliche Konzentration droht jedes Reallabor an der föderalen Realität zu scheitern.

In jedem Fall gilt: Reallabore simulieren nicht bloß Innovationsfreundlichkeit. Sie können vielmehr den Schritt zu einer modernen, adaptiven Regulierung schaffen und ein wirksames Instrument für Bürokratieabbau und evidenzbasierte Gesetzgebung sein.

Die Autoren:

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Roland Koch ist Management Practice Professor am Frankfurt Competence Centre for German and Global Regulation (FCCR) der Frankfurt School of Finance & Management.

Thomas Weck ist Associate Professor an demselben Institut.

Mehr: Wir brauchen Innovationslabore für die Verwaltung

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