Gastkommentar – Homo oeconomicus: Auch Unternehmen und Medien müssen mehr Haltung zeigen

Die Stimmung in Deutschland lässt sich in zwei Worte fassen: Mut und Wut. Selten waren beide Gefühlswelten so nah beieinander. Da ist auf der einen Seite ein neuer Eindruck von Zusammengehörigkeit und Miteinander in unserer Gesellschaft: Die bundesweiten Demonstrationen für Demokratie sind wie eine erfüllte Sehnsucht nach einer vergangenen, besseren Zeit. Denn im Hier und Jetzt haben immer mehr Menschen die Sorge, dass wir zu sehr auseinanderdriften.
Wir erleben auch wieder Leadership in der Wirtschaft: Nachdem viele lange mit Haltung auf sich warten ließen, finden Unternehmer und Spitzenverbände nun klare Worte für die Demokratie, für eine tolerante und offene Weltanschauung, gegen radikale Kräfte.
Und dennoch: Würden schon am kommenden Sonntag die Parlamente in Europa, Brandenburg, Sachsen und Thüringen gewählt, die Schlangen vor den Wahllokalen wären voll von Verunsicherten und Wütenden.
Bei dem Thema, das den Menschen mit Abstand am wichtigsten ist, trauen die Deutschen der AfD mehr zu als den Ampelparteien: Wie gehen wir in diesem Land mit Zuzug und Integration um? Mehr als jeder Dritte hierzulande schätzt die Kompetenzen der AfD auf diesem Gebiet am höchsten ein. Die Zufriedenheit mit der Regierung ist insgesamt auf dem Tiefpunkt. Das ergab eine Civey-Umfrage unter 5000 erwachsenen Bundesbürgern.
Wenn jetzt landauf, landab für die Demokratie demonstriert wird, drückt das eben noch lange kein Einverständnis mit dem Status quo aus. Die Stapelkrisen und die vielen gleichzeitigen Veränderungen – darunter Klimawandel, Krieg, Fachkräftemangel, Digitalisierung, Inflation – überfordern das Land.
Ideale Bedingungen für Populisten
Damit herrschen ideale Bedingungen für Populisten: Sie erwecken den Eindruck, auf in Wahrheit komplexe Fragen gebe es ganz einfache Antworten. Sie polarisieren und eskalieren Themen, bis der öffentliche Eindruck entsteht, dass ein Problem unfassbar groß ist. So oder so ist ihre Botschaft: Die da oben kriegen nichts hin. Was die Überforderten in ihrer Gefühlswelt bestätigt.







Aus Sicht der Bürger zählt der Fokus auf Lösungen. Sie wünschen, dass Entscheidungen erklärt und Fehler auch mal eingestanden werden. Diese Hausaufgaben sollten wir nicht allein der Politik überlassen. Auch Unternehmen sind gefordert, Menschen mitzunehmen und Dialog zu forcieren. Unabhängige und reichweitenstarke Medien tun gut daran, laufend Formate, Themen und Verständlichkeit der Aufbereitung zu hinterfragen.
Und auch die Meinungsforschung kann einen wesentlichen Beitrag leisten. Sie gibt vielen eine Stimme, bringt Fakten in Debatten ein und holte schon Menschen aus Filterblasen heraus, bevor diese überhaupt so hießen. 2024 kann sie zeigen, dass ihr das auch im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz gelingt, in dem Fake News immer einfacher, schneller und passgenauer produziert und verbreitet werden.
Mehr: Entfremdet im eigenen Land – ein Kommentar





