Gastkommentar – Homo oeconomicus: Die Energiekrise hat die deutsche Wirtschaft schwer getroffen


Die steigenden Energiepreise im Jahr 2022 sind ein wesentlicher Treiber der Inflation.
Die Energiekrise hat Deutschland fest im Griff. Die deutsche Wirtschaft ist in den letzten zwei Quartalen geschrumpft und befindet sich somit in einer Rezession. Darüber hinaus ist für dieses Jahr auch keine Besserung in Sicht. Die meisten Wirtschaftsinstitute prognostizieren einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für das Gesamtjahr.
Nun sagen einige Ökonomen, dass ein leichter Rückgang des Bruttoinlandsprodukts nicht so dramatisch wäre. Für sie würde das bedeuten, dass die deutsche Wirtschaft den Energiepreisschock von 2022 gut verkraftet hat. In einer aktuellen Studie zeige ich, dass dieses Argument zu kurz greift.
Denn erstens muss berücksichtigt werden, dass ohne die Energiekrise eine starke wirtschaftliche Erholung im Jahr 2022 stattgefunden hätte. Beispielsweise prognostizierten die fünf Wirtschaftsinstitute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose noch im April 2022 ein Wirtschaftswachstum von vier Prozent für den Zeitraum nach Beginn des Ukrainekriegs.
Wenn man diese Prognose als Grundlage zur Berechnung der Krisenkosten heranzieht, dann hat die Energiekrise bereits jetzt zu einem BIP-Verlust von über vier Prozent geführt.
In der neuen Studie berechne ich mit diesem Vergleichsmaßstab auch die wirtschaftlichen Kosten der Coronakrise 2020 und der Finanzkrise 2008. Für die Coronakrise ergibt sich ein BIP-Verlust von weniger als drei Prozent und für die Finanzkrise ein BIP-Verlust von etwas über fünf Prozent. In diesen beiden Krisen entsprechen die ökonomischen Kosten in etwa dem gemessenen Rückgang des BIP, weil auch ohne die Krise die deutsche Wirtschaft kaum gewachsen wäre.
Hohe Lebenshaltungskosten bereiten den Menschen Sorgen
Diese Berechnungen zeigen, dass der Verlust an Wirtschaftskraft durch die Energiekrise von 2022 vergleichbar ist mit den Verlusten in der Coronakrise von 2020 und der Finanzkrise von 2008. Darüber hinaus gibt es einen weiteren Grund, warum das Argument „alles halb so schlimm“ nicht wirklich überzeugt.

Tom Krebs ist Professor für Makroökonomie an der Universität Mannheim.
Die steigenden Energiepreise im Jahr 2022 sind ein wesentlicher Treiber der Inflation, und es sind gerade die hohen Lebenshaltungskosten, die den Menschen zurzeit die meisten Sorgen bereiten. Eine umfassende wirtschaftspolitische Analyse der Energiekrise muss also immer auch die Inflationseffekte berücksichtigen. Eine solche Analyse ergibt ein eher düsteres Bild.
Die Löhne sind bisher wesentlich langsamer gestiegen als die Preise. Dadurch sind 2022 die inflationsbereinigten Reallöhne so stark gefallen wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen 1950. Die guten Tarifabschlüsse 2023 lassen zwar darauf hoffen, dass die Reallöhne bald wieder steigen werden. Es bräuchte jedoch einen kräftigen Reallohnzuwachs, um die bereits erlittenen Kaufkraftverluste auszugleichen.




Diese Überlegungen zeigen, dass die Energiekrise 2022 eine wirkliche Krise ist und auch als eine solche verstanden werden sollte. Es war also schlimm, aber es hätte noch viel schlimmer kommen können. Laut Berechnungen der Bundesbank und der fünf Wirtschaftsinstitute der Gemeinschaftsdiagnose hätte eine Gasmangellage im Winter zu wirtschaftlichen Verlusten zwischen acht und zehn Prozent geführt. Ein solches Extremszenario konnte glücklicherweise vermieden werden.
Mehr: Unternehmen werden pessimistischer: Ifo-Geschäftsklimaindex fällt überraschend stark





