Gastkommentar – Homo oeconomicus: Ein Bürgerrat ohne Respekt schadet mehr, als er nützt
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland tagte zwischen September 2023 und Januar 2024 ein Bürgerrat des Bundestags zum Thema „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“. Die Zusammensetzung des Gremiums erfolgte mehrstufig per Zufallsauswahl, sodass es nach Alter, Geschlecht, Herkunft, Bundesland, Gemeindegröße und Bildungshintergrund den Bevölkerungsanteilen entsprach.
Bereits im Vorfeld der Übergabe des Bürgerratsgutachtens an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) wurde das Engagement der Teilnehmenden in den Medien euphorisch als ein innovatives Beispiel für lebendige Demokratie gelobt.
In Online- und Präsenzkonferenzen hat das Gremium neun Vorschläge für die Ernährungspolitik erarbeitet. An erster Stelle findet sich – mit solider Begründung – ein kostenfreies und gesundes Mittagessen an allen Kitas und Schulen als Beitrag zu gleichen Bildungs- und Gesundheitschancen und um die soziale Funktion gemeinsamen Essens zu stärken.
Philipp Amthor (CDU) hob zwar in altväterlicher Manier hervor, dass viele der Teilnehmenden mit Begeisterung und jetzt mit einem besseren Verständnis für Demokratie, Parlament und Parteien unterwegs seien. Jedoch kritisierte er, obwohl selbst Mitglied der Berichterstattergruppe Bürgerrat, dass „herbeiquotierte“ Bürgerräte den Bundestag schwächen würden.
Seine Parteifreundin Petra Nicolaisen verstieg sich sogar zu der Aussage, dass ein kostenfreies Mittagessen eine nicht bezahlbare, „ausufernde Form der gesellschaftlichen Beglückung“ sei. Stephan Proschka (AfD) warnte vor „Sowjets“ und dem „Einsatz ideologisch motivierter Moderatoren“.
Gero Hocker (FDP) bezeichnete die Vorschläge als eine „Wünsch-dir-was“-Liste von Nichtexperten. Es ginge nicht an, dass Kinderlose künftig das Mittagessen für Kinder anderer Leute bezahlen müssten.
Bürgerschaftliches Engagement braucht Anerkennung
Wer die Mimik der anwesenden Bürgerratsmitglieder beobachtete, konnte ihre Enttäuschung unschwer sehen. Ein derart geringschätziger Umgang mit bürgerschaftlichem Engagement verstärkt den Vertrauensverlust in das westliche Demokratiemodell und seine Reformfähigkeit.
Es ist verfehlt, von „Hardcore-Vertretern“ der Bürgerräte zu sprechen, wenn sie ein gewisses Maß an Verbindlichkeit für direktdemokratische Elemente einfordern. Vielmehr muss es genau darum gehen, ansonsten werden solche demokratischen Partizipationsformen schnell als zeitraubende Alibiveranstaltungen erlebt, deren Empfehlungen regelmäßig in Ausschusssitzungen versanden.