Gastkommentar Homo oeconomicus: Niedrige Unternehmensteuern lösen Deutschlands Wachstumsschwäche nicht

Deutschlands Wirtschaftswachstum war im vergangenen Jahr schwächer als in allen anderen G7-Staaten. Der Internationale Währungsfonds prognostiziert, dass das auch 2024 der Fall sein wird.
Lange Zeit galt Deutschland als industrielles Zugpferd Europas. Doch neue Daten zeigen einen breiten industriellen Abschwung. Seit Dezember 2021, also seit der Bildung der Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD), ist die Industrieproduktion im verarbeitenden Gewerbe und Bergbau um sechs Prozent gesunken, die Produktion in energieintensiven Industriezweigen sogar um 22 Prozent.
Deutschland gehörte in den vergangenen Jahren damit innerhalb der EU zu den Schlusslichtern bei der Industrieproduktion. Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung war nicht geeignet, dies zu verhindern.
Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass innerhalb der Bundesregierung um eine wirtschaftspolitische Antwort auf die Wachstumsschwäche gerungen wird. Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wollen an einem „Dynamisierungspaket“ arbeiten.
Die von Lindner ins Spiel gebrachte Abschaffung des Solidaritätszuschlags für Betriebe wäre jedoch eine falsche Maßnahme. Dies würde eine pauschale Gewinnsteuerreduktion für Unternehmen bedeuten. Die positiven Wachstumseffekte, die sich der Finanzminister davon verspricht, sind übertrieben. Sebastian Gechert und ich zeigen in einer 2022 im „European Economic Review" veröffentlichten Studie, dass die empirische Evidenz für positive Wachstumseffekte derartiger Unternehmensteuersenkungen dünn ist.
Die Bundesregierung muss die Planbarkeit verbessern
Besonders wenn zur Zeit der Unternehmensteuersenkung an anderer Stelle staatliche Ausgaben gekürzt werden, sind schwächere Wachstumseffekte zu erwarten. Angesichts der Probleme mit der Einhaltung der Schuldenbremse und den damit in Aussicht stehenden Ausgabenkürzungen ist also Vorsicht geboten, zumal eine Unternehmensteuersenkung zu einem (fortwährenden) Rückgang der staatlichen Einnahmen führen würde.

Ein Rückgang der Steuereinnahmen verringert zudem die Bereitstellung öffentlicher Güter wie Infrastruktur und Bildung. Die Standortqualität für Unternehmen und deren Geschäftsaussichten sind langfristig jedoch von qualitativ hochwertigen öffentlichen Gütern abhängig.
Damit deutsche Unternehmen wieder mehr investieren und die Wirtschaft stärker wachsen kann, muss der Business-Case für die Investitionen stimmen. Die Regierung müsste für die Entscheider in den Unternehmen die Planbarkeit verbessern, indem sie eine klare industriepolitische Linie mit sicher ausfinanzierten öffentlichen Investitionen kombiniert, um weitere private Investitionen anzuziehen.
Die Turbulenzen innerhalb der Bundesregierung rund um die Einhaltung der Schuldenbremse und Unsicherheiten, ob selbst seit Längerem angekündigte finanzpolitische Maßnahmen zugunsten von Unternehmen finanziert werden können, sind kontraproduktiv.





Deutschland ist dennoch das wirtschaftlich mächtigste Land Europas
Deutschlands Unternehmensbesteuerung sei international nicht mehr wettbewerbsfähig, tönt es. Gegen diese generalisierende These spricht, dass Deutschland weiterhin erhebliche Handelsbilanzüberschüsse aufweist, also deutlich mehr exportiert als importiert. Positive Effekte von pauschalen Gewinnsteuersenkungen kommen, wenn überhaupt, hauptsächlich durch Firmenansiedelungen auf Kosten von anderen Staaten zustande.
Deutschland ist trotz seiner aktuellen Wachstumsschwäche Europas politisch und wirtschaftlich mächtigstes Land. Als solches sollte man kein Rennen um niedrigere Unternehmensteuern anheizen, das dem Wachstum wenig bringt.
Mehr: Wie niedrigere Steuern zu höheren Investitionen führen.





