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Der ChefökonomFrühstart-Rente – wenn gute Absichten nicht ausreichen

Die Bundesregierung will das Altersvorsorgesparen für Kinder und Jugendliche staatlich fördern. Warum Zweifel angebracht sind, ob die „Frühstart-Rente“ zu einem Erfolgsmodell wird.Bert Rürup 27.06.2025 - 09:35 Uhr
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Kinder beim Spaziergang: Ab dem sechsten Lebensjahr zehn Euro pro Monat vom Staat für ein Wertpapierdepot. Foto: dpa

Die Idee einer kapitalgedeckten Zusatzrente ist nicht neu – aber es stellt sich die Frage, ob der geplante Ansatz sinnvoll ist. Zum Beginn des kommenden Jahres will die Bundesregierung die „Frühstart-Rente“ einführen. „Wir wollen für jedes Kind vom sechsten bis zum 18. Lebensjahr, das eine Bildungseinrichtung in Deutschland besucht, pro Monat zehn Euro in ein individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot einzahlen“, heißt es im Koalitionsvertrag von Union und SPD.

Der in dieser Zeit angesparte Betrag könne ab dem 18. Lebensjahr bis zum Renteneintritt durch private Einzahlungen bis zu einem jährlichen Höchstbetrag weiter aufgestockt werden. Die Erträge aus diesen Ersparnissen sollen bis zum Renteneintritt steuerfrei sein. Dieses Sparkapital soll zudem vor staatlichen Zugriffen geschützt sein und erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze ausgezahlt werden.

Die Initiative, neben der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente eine neue, kapitalgedeckte Säule zu etablieren, ist zweifellos richtig. Alterssicherungssysteme sind in der Regel leistungsfähiger und resilienter, wenn sie aus einem umlagefinanzierten Teil und einer kapitalgedeckten Komponente bestehen, so wie beispielsweise in Schweden oder in der Schweiz.

Dominanz der Umlagefinanzierung

Ein optimales Mischungsverhältnis beider Finanzierungsprinzipien gibt es allerdings nicht. Aber angesichts der Dominanz der Umlagefinanzierung erscheint in Deutschland ein Ausbau der Kapitaldeckung angezeigt – noch zumal diejenigen, die fürs Alter sparen, ihr Geld oft in wenig rentierlichen Anlagen wie Kapitallebensversicherungen anlegen mit der Folge, dass sie am Börsenboom der vergangenen Dekaden kaum partizipierten.

„Wir stellen das System um“, betont Kanzler Friedrich Merz (CDU). Junge Menschen sollen an den Kapitalmarkt herangeführt und für Themen wie die private Altersvorsorge sensibilisiert werden.

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Banken und Sparkassen dürften sich angesichts dieser Ankündigung gefreut haben. Kurz nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen warben bereits erste Finanzdienstleiter mit einem neuen „Kinderdepot“.

Allerdings sind Zweifel angebracht, ob diese „Frühstart-Rente“ ein Erfolgsmodell wird – und nicht wie die „Riester-Rente“ einem schleichenden Niedergang erliegt. Den „Frühstart-Kindern“ und ihren Eltern wird nämlich nicht klargemacht, dass Sparen stets mit Verzicht einhergeht – heutige Konsummöglichkeiten also gegen künftige eingetauscht werden. Denn derzeit ist geplant, dass diese neuen Altersvorsorgeersparnisse vollständig aus Steuermitteln finanziert werden. Somit ist ungewiss, ob und wie viele der jungen Menschen aus eigenen Mitteln – also via Konsumverzicht – weiter sparen, sobald die Finanzierung durch den Staat mit der Volljährigkeit entfällt.

Hohe Verwaltungskosten

Hinzu kommt, dass das „Frühstart-Sparen“ mit hohem Verwaltungsaufwand verbunden wäre, da diese Förderung nicht – wie das Kindergeld – an die Eltern fließen soll. Bis zu zehn Millionen Konten und Depots müssten von den Erziehungsberechtigten für jene Kinder und Jugendlichen eingerichtet werden, die gegenwärtig zwischen sechs und 18 Jahre alt sind.

Ungeklärt ist, welche Behörde zuständig sein soll, um diese Anträge zu bearbeiten und zu überwachen. Zur Erinnerung: Die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen, die die Zulagen für die Riester-Renten administriert, beschäftigt um die 1000 Mitarbeiter.

Hinzu kommt: Selbst wenn die Finanzdienstleister diese Konten kostenlos führen sollten, dürfte ein Teil der Ersparnisse durch Transaktions- und Managementgebühren dem Vermögensbildungsprozess vorenthalten werden.

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Darüber hinaus sind die individuellen Sparbeträge recht gering. Unterstellt man, dass der Sparvertrag sechs Prozent Rendite nach Kosten abwirft und zudem steuerfrei gestellt ist, so hätten die ersten voll begünstigten Jahrgänge im Jahr 2038 etwas mehr als 2000 Euro auf ihren Konten. Rechnet man ein Prozent Kosten ab und geht von zwei Prozent Inflation aus, so bleiben inflationsbereinigt etwas mehr als 1500 Euro übrig.

Selbst wenn dieses Vermögen bis zum Renteneintritt in etwa 50 Jahren sich jährlich real um drei Prozent vermehren sollte, gehen die ersten „Frühstart-Rentner“ im Jahr 2087 mit einem realen Vermögen von knapp 7000 Euro in Rente – ein Kapitalstock, aus dem sich bei einer Restlebenserwartung von 25 Jahren eine monatliche Rente von etwa 30 Euro finanzieren ließe.

Finanzdaten: Bis zu zehn Millionen Konten und Depots sind den Plänen zufolge von den Erziehungsberechtigten für die „Frühstart-Rente“ für ihre Kinder einzurichten. Foto: mauritius images / James Thew / Alamy

Diese Überschlagsrechnung zeigt einmal mehr: Kapitaldeckung braucht neben einem sehr langen Atem auch ein angemessen hohes Kapital. Zwar gilt der Zinseszinseffekt im Volksmund als achtes Weltwunder. Doch dessen exponentielle Wirkung entfaltet sich erst in sehr langen Zeiträumen: Wer vor 100 Jahren einen Euro zu zwei Prozent Zinsen angelegt hätte, besäße heute sieben Euro, wer dies vor 1000 Jahren gemacht hätte, wäre dagegen ein halber Milliardär.

Unser umlagefinanziertes Alterssicherungssystem wurde 1957 eingeführt. Es basiert auf den gesellschaftlichen Eckwerten dieser Zeit, also steigenden Löhnen, einer relativ homogenen Lohnstruktur und weitgehender Vollzeitbeschäftigung vorrangig der männlichen Bevölkerung. Frauen waren selten berufstätig und brachten im Durchschnitt 2,5 Kinder zur Welt, sodass die Bevölkerung langfristig stieg. Und wer damals mit 65 Jahren in Rente ging, konnte nur mit Glück auf zehn Jahre Rentenbezug hoffen.

Demografischer Wandel

Die heutigen Realitäten sehen anders aus. Die deutsche Gesellschaft steht unmittelbar vor einem markanten Alterungsschub, der zwar seit Langem bestens prognostiziert ist, doch von der Politik in den vergangenen drei Legislaturperioden in bemerkenswerter Weise ignoriert wurde.

Die sicher gut gemeinte „Frühstart-Rente“ leistet keinen Beitrag dazu, die bevorstehenden demografisch besonders schwierigen knapp 20 Jahre der doppelten Alterung zu bewältigen. Denn zum einen steigt die Lebenserwartung weiter, und zum anderen gehen die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge in Rente mit der Folge, dass das Verhältnis von Rentenempfängern zu Beitragszahlern markant steigt. Laut dem aktuellen OECD-Wirtschaftsbericht droht Deutschland ohne Maßnahmen zur „Dämpfung des alterungsbedingt steigenden Ausgabendrucks“ eine rasante Zunahme der Staatsverschuldung von derzeit etwa 60 auf etwa 130 Prozent in Relation zur jährlichen Wirtschaftsleistung im Jahr 2045.

Diese doppelte Alterung der Bevölkerung wird ab Ende der 2040er-Jahre auslaufen, wenn die Babyboomer weitgehend verstorben sein werden. Danach altert die Bevölkerung lediglich infolge einer wohl weiter steigenden Lebenserwartung.

Mit der „Frühstart-Rente“ erweckt die Regierung den Eindruck einer trügerischen Sicherheit und signalisiert den heute sehr jungen Generationen (oder ihren Eltern), Relevantes für sie getan zu haben. Damit wird vom bestehenden Reformbedarf und von den Wahlgeschenken an die rentennahen Jahrgänge abgelenkt – Stichworte sind hier: gesetzlich festgeschriebene Mindestrentenniveaus oder Verbesserungen der Mütterrente.

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Die Idee hinter der Frühstart-Rente, das Bewusstsein für eine kapitalgedeckte Altersvorsorge zu fördern und die Einkommensschwächeren dabei zu unterstützen, ist sicher richtig. Allerdings wird mit den neuen Sonderleistungen zusätzliche Verantwortung für die Altersvorsorge auf den Staat verlagert, ohne dass das bestehende Umlagesystem entlastet wird.

Zu einem nachhaltigkeitsorientierten Durchbruch in der Rentenpolitik trägt die „Frühstart-Rente“ sicher nicht bei.

Mehr: So sparen Sie fürs Kind bei Trade Republic, Scalable und Co.

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