EU-Kolumne: Keine „Kriegsmentalität“ – Europa hält Rüstungsindustrie klein

Für seine erste Rede im Amt wählte der neue Nato-Generalsekretär Mark Rutte dramatische Worte. Mit dem Auto brauche man von Brüssel nur einen Tag bis in die Ukraine, sagte er vergangene Woche. „So nah fallen die russischen Bomben, so nah fliegen die iranischen Drohnen.“ Russlands Präsident Wladimir Putin versuche, die europäische Sicherheitsarchitektur grundlegend zu verändern und „unsere Freiheit und unseren Way of Life zu zerstören“.
Der Niederländer zählte die lange Liste russischer Angriffe der vergangenen Jahre auf und fragte: „Wie viele Weckrufe brauchen wir noch?“ Um die massive russische Aufrüstung zu kontern, bräuchten die Europäer endlich eine „Kriegsmentalität“.
Ruttes Appell zeigt, dass auch nach tausend Tagen Krieg in der Ukraine viele europäische Politiker die Lage nicht ernst genug nehmen. Der Bundeskanzler, der einst die „Zeitenwende“ proklamierte, zieht inzwischen als „Friedenskanzler“ über die Wahlkampfbühnen. Mehrere Länder, darunter Italien und Spanien, erreichen noch immer nicht das Nato-Ziel, mindestens zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für die Verteidigung auszugeben.
Banken und Anleger meiden die Rüstungsbranche
Hinzu kommen die Versäumnisse des privaten Sektors. Viele Banken verleihen kein Geld an Rüstungsfirmen, weil sie das Reputationsrisiko scheuen. Aus dem gleichen Grund machen institutionelle Anleger wie Versicherungen und Pensionsfonds einen großen Bogen um alles Militärische. „Inakzeptabel“ findet Rutte das. Schließlich gehe es nicht um Drogen oder Pornografie, sondern um die Sicherheit der Europäer.
In der Finanzbranche wird jedoch kühl kalkuliert. „Es gibt genug andere Anlagemöglichkeiten“, sagt eine deutsche Bankerin. „Niemand braucht unnötige Probleme mit Aktivisten.“
Selbst die Europäische Investitionsbank (EIB), die von den EU-Finanzministern kontrolliert wird, darf bisher nicht in die Waffenproduktion investieren. Auch Gelder aus dem EU-Haushalt dürfen nicht für militärische Güter verwendet werden. Die Regeln könnten theoretisch geändert werden, das scheitert aber bisher am Widerstand aus den Mitgliedstaaten.

Die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas und Verteidigungskommissar Andrius Kubilius sind angetreten, die Europäer auf die Kriegsgefahr aus Russland einzuschwören. Die beiden Balten fordern eine gemeinsame EU-Finanzierung, um der europäischen Rüstungsindustrie langfristig Aufträge zu sichern.
Ihre Vorstöße lösen jedoch bereits heftige Gegenreaktionen aus. Vor allem Berlin und Den Haag pochen darauf, dass Verteidigung eine nationale Aufgabe bleiben muss.





Nato-Generalsekretär Rutte wird daher noch einige Überzeugungsarbeit leisten müssen. Den designierten US-Präsidenten Donald Trump betrachtet er dabei als Verbündeten. Der Republikaner hatte schon in seiner ersten Amtszeit die Europäer dazu gebracht, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen. „Wir werden viel mehr als zwei Prozent brauchen“, sagte Rutte. Ein neues, höheres Ziel könnte schon beim Nato-Gipfel im kommenden Sommer beschlossen werden.






