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GeoeconomicsDer Mythos der Multipolarität

Die Feststellung, dass die gegenwärtige Welt eine multipolare ist oder werden wird, entspringt der Fantasie derjenigen, die sich diese Welt herbeisehnen. Die Realität ist eine andere.Carlo Masala 08.11.2024 - 10:07 Uhr Artikel anhören
Carlo Masala ist Professor für Internationale Politik an der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften der Universität der Bundeswehr München. Foto: Skizzomat, Imago

Ein Gespenst geht global um. Das Gespenst der Multipolarität. Kaum ein Politiker oder Wissenschaftler, der nicht darauf hinweist, dass das zukünftige internationale System ein multipolares werden wird oder dass die Welt des 21. Jahrhunderts bereits eine multipolare ist, wie es der Bundeskanzler im Vorwort zur Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesrepublik Deutschland schreibt. Und der Wunsch nach der multipolaren Weltordnung ist es auch, was die BRICS-Staaten eint, wie sie anlässlich ihres jüngsten Zusammentreffens im russischen Kazan erneut betonten.

Aber stimmt das überhaupt? Ist die gegenwärtige internationale Ordnung auf dem Weg zur Multipolarität, oder ist sie gar bereits multipolar? Was bedeutet eigentlich Multipolarität?

Mit dem Begriff Multipolarität wird ein Zustand beschrieben, in dem es auf der Welt verschiedene Machtzentren gibt, die in Kooperation, aber auch im Wettbewerb zueinanderstehen. In dem Zusammenspiel aus Wettbewerb und Kooperation bildet sich eine einigermaßen stabile Struktur in der Welt heraus, in der jedes dieser Machtzentren mit seinem Platz in der internationalen Ordnung gewissermaßen zufrieden ist. Die Folge einer solchen Multipolarität ist ein stabileres und friedfertigeres internationales System, als wir es heute erleben.

Denn die Notwendigkeit stark oder gar stärker als andere Staaten in diesem System zu werden, wird erheblich abgemildert. Somit hat Multipolarität, so ihre Protagonisten, auch das Potenzial, zu einer gerechteren Welt beizutragen. Kandidaten für diese Machtzentren gibt es viele. Neben den USA und China sind es auch die EU, Russland, Brasilien, Indien, Südafrika und Indonesien, um nur einige zu nennen.

Wer könnte etwas gegen ein solches internationales System haben? Niemand eigentlich: außer der Realität. Denn die Feststellung, dass die gegenwärtige Welt eine multipolare ist oder werden wird, entspringt der Fantasie derjenigen, die sich diese Welt herbeisehnen. Sie ist aber ein Mythos, der mit der Realität nichts gemein hat.

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Wenn man sich einmal vergegenwärtigt, was es im internationalen System braucht, um ein Pol zu sein oder zu werden, dann ergibt sich ein gänzlich anderes Bild. Um ein Pol zu sein, braucht es überragende ökonomische und militärische Macht, eine gewisse Art von Ausstrahlungskraft des eigenen gesellschaftlichen Systems sowie technologische Innovationsfähigkeit im Bereich von Zukunftstechnologien (was im 21. Jahrhundert vor allem den Bereich der Künstlichen Intelligenz betrifft).

Schaut man sich die Staaten dieser Erde mit Blick auf diese Kategorien einmal genauer an, so wird man feststellen, dass es im gegenwärtigen internationalen System einen 800-kg-Gorilla gibt, der sich USA nennt, einen 650-kg-Gorilla, der China ist, das die Ambition hat, bis auf 800 kg oder mehr anzuwachsen, und ansonsten nur 150-kg-Schimpansen herumlaufen, deren Machtpotenziale nicht annähernd an die der USA und Chinas heranreichen.

Zwar spielt Russland im Bereich der Nuklearwaffen eine herausgehobene globale Rolle, ihm fehlt allerdings die ökonomische Macht.
Carlo Masala

Zwar spielt Russland im Bereich der Nuklearwaffen eine herausgehobene globale Rolle, ihm fehlt allerdings die ökonomische Macht, und die EU ist trotz der in den letzten Jahren leicht gesunkenen Anteile am Welthandel noch immer der drittgrößte Wirtschaftsblock global gesehen. Allerdings fehlt es Brüssel sowohl an technologischer Innovationsfähigkeit wie auch an militärischer Macht, um globaler Pol zu sein. Indien, das von vielen Kommentatoren bereits als das neue China gefeiert wird, hat zwar in der Vergangenheit einen beeindruckenden wirtschaftlichen Aufschwung erlebt, aufgrund der internen Probleme, vor allem mit Armut, ist es aber noch weit davon entfernt, China als führender Macht in Asien wirklich Konkurrenz zu machen.

Alle anderen Kandidaten, die oftmals im Zusammenhang mit der heraufziehenden Multipolarität genannt werden, haben weder die ökonomischen noch die militärischen Machtmittel (geschweige denn die gesellschaftliche Ausstrahlung und die technologische Innovationsfähigkeit), um auch nur annähernd in derselben machtpolitischen Liga zu spielen wie die USA und China.

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Führt man sich dies vor Augen, dann lautet die nüchterne Antwort auf die Frage, wie das zukünftige internationale System aussehen wird: Wir werden entweder in einem System leben, das durch zwei in ihren Machtmitteln allen anderen Staaten überlegene Pole USA und China gekennzeichnet werden wird oder, wenn es den USA gelingen sollte, den Aufstieg Chinas hinauszuzögern oder gar zu verhindern, in einem System, das auch weiterhin durch eine, wenngleich geschwächte, amerikanische Unipolarität dominiert sein wird.

Alles andere ist Wunschdenken oder politischer Mythos, der mit der Realität der Machtverteilung im internationalen System nichts gemein hat.

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