Geoeconomics: Und täglich grüßt die Wehrpflicht
Wie hältst du es mit der Wehrpflicht? Die Frage hat gerade wieder Konjunktur. Aber es ist die falsche Frage. Denn die Wehrpflicht wird hier als Lösung verkauft. Das ist eine überaus irritierende Situation: Man kennt die Antwort schon (Wehrpflicht!), die Frage aber ist nebensächlich. Die Wehrpflicht wird zur Universallösung – unklar ist jedoch, welches Problem sie wie genau lösen soll. Deshalb sollten wir klären, worum es bei der Debatte um die Wehrpflicht wirklich geht – oder gehen sollte.
In Deutschland werden aktuell mindestens drei Probleme diskutiert:
erstens das Personalproblem der Bundeswehr. Die soll von aktuell 180.000 bis 2031 auf 203.000 aufwachsen. Aber: Es fehlen die richtigen Bewerber*innen. Und viele scheiden vorzeitig aus. Die Bundeswehr hat nicht nur ein Rekrutierungsproblem. Sie hat auch Personalbindungs- und mitunter auch ein Personalentwicklungs- und ein Führungsproblem.
Zweitens muss Deutschland angesichts der internationalen Bedrohungen von russischen Desinformationskampagnen bis islamistischen Terrorismus generell wehrhafter werden. Wie gut sind wir für Destabilisierung, den Krisen- oder Verteidigungsfall aufgestellt? Das reicht vom Schutz der Infrastruktur bis zum Umgang mit Propaganda. Da geht es um Gesamtverteidigung und gesellschaftliche Resilienz, die über das Militärische hinausgehen.
Drittens stellt sich die Frage der Identifikation mit der Gesellschaft. Hier schwingt die alte Idee der Armee als Schule der Nation mit, um ein gemeinsames Bewusstsein für das Land zu schaffen, das die Bürger im Krisenfall verteidigen würden.
Alles drei sind große Herausforderungen. Aber die Wehrpflicht ist für keine eine zufriedenstellende Antwort.
Das Personalproblem wird ein allgemeiner Pflichtdienst nicht lösen. Der Bundeswehr fehlt nicht nur Masse, sondern auch spezifische Expertise wie Cyberexperten. Hier konkurriert sie mit der Privatwirtschaft, die oft höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen bietet. Menschen zum Dienst zu zwingen verdrängt das Attraktivitätsproblem; um es zu bearbeiten, braucht es Reformen von innen.
Eine Wehrpflichtdebatte lenkt von anderen Missständen ab, von veralteter Ausrüstung bis Personalkultur, die die Attraktivität der Bundeswehr schmälern. Bevor diese nicht angegangen werden, wird ein (erzwungener) personeller Aufwuchs nicht viel bringen. Außerdem könnte die Bundeswehr aktuell so viele Rekruten gar nicht absorbieren, denn die Strukturen, von Musterung bis Ausbildung, fehlen.
Die Re-Aktivierung der Wehrpflicht würde Milliarden kosten. Wäre es nicht sinnvoller, diese in Dinge wie Modernisierung von Ausrüstung zu investieren, damit die Bundeswehr attraktiver wird?
Schwedens Modell als Alternative?
Ja, es gäbe Vorteile: Mit Wehrpflicht wären für den Krisenfall die Personen bereits erfasst und könnten schnell aktiviert werden. Und die Wehrpflicht schafft einen Pool an Reservisten für den Verteidigungsfall. Denn, wie die Ukraine zeigt: Die Berufsarmee beginnt die Verteidigung, aber die Reserve beendet sie.
Eine Alternative bietet das schwedische Modell, das Pflicht mit Freiwilligkeit verbindet: Alle Wehrpflichtigen werden erfasst, aber eingezogen werden nur die, die wollen. Dies hat den Vorteil, dass der Staat einen Überblick über die wehrfähige Bevölkerung hat, in Familien und Freundeskreisen wieder über Verteidigung diskutiert wird, aber nur Motivierte den Dienst antreten. Dies leitet schon über aufs zweite Thema.
Wehrhaftigkeit auch nicht militärisch
Hier geht es um die Wehrhaftigkeit von Staat und Gesellschaft. Denn Deutschland wird nicht nur militärisch bedroht, unsere liberalen, demokratischen Gesellschaften werden auch hybrid bedroht, durch Desinformation und Destabilisierung. Wehrhaftigkeit ist also nicht nur militärisch, sondern auch nicht militärisch: von der Sicherung von Energieversorgung bis zur Abwehr von Desinformation. Selbst wenn die Bundeswehr voll einsatzfähig wäre, wäre die Frage der Gesamtverteidigung also noch nicht geklärt.
Wehrhaftigkeit wird auf der Mikroebene getragen, von Bürger*innen, Kommunen, öffentlichen Einrichtungen, Vereinen und Unternehmen. Dafür braucht es einen Mentalitätswandel: Wer das Privileg hat, in einer freiheitlichen Demokratie zu leben, sollte bereit sein, diese auch zu verteidigen. Zu einer solchen Wehrhaftigkeit könnte eher eine Dienstpflicht beitragen, bei der die Bundeswehr eine Station unter vielen wäre.
Und die Identifikation mit dem Land als dritte Herausforderung ließe sich mit dieser Art der Dienstpflicht oder einem Resilienzbeitrag eher schaffen als mit einem als ungerecht empfundenen Pflichtdienst für wenige.
Aktuell wird die „Wehrpflicht“ als Antwort diskutiert. Aber wir müssten vielmehr die zentrale Frage stellen: Sag, was willst du eigentlich mit der Wehrpflicht?