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Globale TrendsChina und Amerika bilden eine Schicksalsgemeinschaft

Intensive Handelsbeziehungen sind längst keine Garantie mehr für Frieden. Die beiden Supermächte haben ihre gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit vielmehr zu einer Waffe gemacht.Torsten Riecke 15.11.2023 - 12:19 Uhr Artikel anhören

USA und China – die beiden großen Rivalen der Welt.

Foto: AP

Wenn sich am Mittwoch US-Präsident Joe Biden und Chinas Staatschef Xi Jinping zum ersten Mal seit einem Jahr treffen, geht es vor allem um die Frage, wie eng die beiden größten Volkswirtschaften der Welt künftig miteinander verflochten sein wollen. Biden und Xi setzen damit den Ton nicht nur für ihre Länder. Glaubt man daran, dass die geoökonomische Stärke auch den geopolitischen Machtkampf entscheidet, stellen die beiden mächtigsten Männer auf dem Globus auch die Weichen für den Rest der Welt.

2007 kreierten der schottische Historiker Niall Ferguson und der deutsche Ökonom Moritz Schularick den Kunstbegriff „Chimerica“, um die engen symbiotischen Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und den USA auf den Punkt zu bringen. Zwei Jahre und eine globale Finanzkrise später warnten dieselben Autoren bereits vor dem „Ende von Chimerica“. Seitdem befinden sich die beiden Supermächte in einem überaus instabilen geoökonomischen Verhältnis zueinander.

Wirtschaftlich sind sie nach wie vor aufeinander angewiesen, wie der Rekord von 760 Milliarden Dollar im Handel zwischen China und den USA im vergangenen Jahr belegt. Hinzu kommen gegenseitige Investitionen und Finanzanlagen im Wert von rund 1,8 Billionen Dollar. Politisch nimmt die Rivalität jedoch stetig zu, was sich auch darin widerspiegelt, dass im ersten Halbjahr 2023 die Importe der USA aus China um ein Viertel eingebrochen sind.

Verantwortlich dafür ist unter anderem, dass viele amerikanische Firmen – auch auf Druck der Regierung in Washington – ihre globalen Lieferketten diversifizieren und sich von der „globalen Werkbank“ China abwenden. 

So hat Biden den Zugang Chinas zu Hochtechnologie beschränkt, und Peking ist angeblich umgekehrt dabei, westliche Technologie aus dem riesigen Staatsapparat zu entfernen. Auch wenn US-Finanzministerin Janet Yellen eine wirtschaftliche Abkoppelung (Decoupling) von China als „desaströs“ betrachtet: Wenn es um Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz geht, die für die geoökonomische Macht im 21. Jahrhundert entscheidend sein können, gehen beide Supermächte auf Distanz zueinander.

Die andere Seite der Globalisierung

Vor 20 Jahren warnte der 2009 verstorbene Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Samuelson, dass die Globalisierung nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer kennt. Dem damaligen „Offshoring“ folgt jetzt in rasender Geschwindigkeit ein Staffellauf rückwärts vom „Nearshoring“ über das „Friendshoring“ bis hin zum „Reshoring“, also dem „Heimholen“ wichtiger Schlüsselindustrien, zu dem Biden im vergangenen Jahr mit seinem „Chips and Science Act“ geblasen hat. 

Das sogenannte „De-Risking“, mit dem die Politiker das Kappen wirtschaftlicher Bande schönreden, ist leichter angekündigt als getan, wie der Begriff „Chimerica“ bereits vermuten lässt. Die Kehrseite der wirtschaftlichen Symbiose ist nämlich, dass beide Seiten ihre gegenseitige Abhängigkeit zu einer Waffe gemacht haben, um den Rivalen unter Druck setzen zu können. Der Wettbewerb im Zeitalter der Interdependenz" ist nach den Worten von Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan die größte Herausforderung für Amerika.

Handelsblatt-International-Correspondent Torsten Riecke analysiert jede Woche in seiner Kolumne interessante Daten und Trends aus aller Welt. Sie erreichen ihn unter riecke@handelsblatt.com

Foto: Klawe Rzeczy

Amerika braucht Chinas Seltene Erden, China braucht amerikanische Hochleistungschips. Washington ist darauf angewiesen, dass Peking durch den Kauf von US-Staatsanleihen das Leben der Amerikaner auf Pump finanziert. Das Reich der Mitte braucht eine sichere Anlageform für seine riesigen Exportüberschüsse. 

Außerdem sei daran erinnert, dass das wirtschaftliche „De-Risking“ die vor nicht allzu langer Zeit noch herrschende Überzeugung vieler Politiker auf den Kopf stellt, wonach gerade enge wirtschaftliche Bande eine Garantie dafür sein sollen, dass zwei Ländern keinen Krieg gegeneinander führen. Der Erste Weltkrieg hat allerdings das Gegenteil oder bestenfalls die Ausnahme von der Regel bewiesen, als Deutschland und England quasi über Nacht ihre damals intensiven Wirtschaftsbeziehungen kappten. 

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Es ist deshalb eine Ironie der Geschichte, dass enge wirtschaftliche Bande heute keine Gewähr mehr für den Weltfrieden bieten, sondern im Gegenteil zu den Frontlinien geopolitischer Rivalität geworden sind. Die beiden US-Ökonomen Henry Farrell und Abraham Newman, die den Begriff der „weaponized interdependence“ geprägt haben, zeigen in ihrem gerade erschienenen Buch „Underworld Empire“, dass die USA dabei die Nase vorn haben, weil sie im Maschinenraum der Weltwirtschaft die Finanz- und Datenflüsse kontrollieren. 

Biden und Xi haben zwar ein starkes wirtschaftliches Interesse daran, dass das Ringen der beiden Supermächte um die geopolitische Dominanz nicht in einen Krieg eskaliert. Was nicht heißt, dass es nicht dennoch zu einem kriegerischen „Unfall“, zum Beispiel im Südchinesischen Meer oder in Taiwan, kommen kann – auch dafür ist 1914 ein warnendes Beispiel.

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