Homo oeconomicus: Warum uns die US-Sicherheitsstrategie genau das Falsche rät
Das Papier zur Nationalen Sicherheitsstrategie der USA ist von vielen europäischen Regierungen zurückgewiesen worden, weil es Passagen zur Meinungsfreiheit und zu demokratischen Institutionen enthält, die als Einmischung in innere Angelegenheiten verstanden werden. Dabei wird leicht übersehen, dass das Papier wichtige ökonomische und politische Aussagen enthält, die diskutiert werden sollten.
Die wichtigste Botschaft des Papiers ist durchaus positiv: Die USA haben auch künftig Interesse an Europa und sehen, dass der transatlantische wirtschaftliche Austausch auch für die USA große Bedeutung hat. Angesichts des teils verwirrenden Umgangs von US-Präsident Donald Trump mit seinen transatlantischen „Freunden“ ist das zumindest ein Ansatzpunkt für Kooperation.
Weniger diplomatisch ist der Hinweis auf den wirtschaftlichen Bedeutungsverlust Europas. Als Beleg wird angeführt, der Anteil der EU an der globalen Wirtschaftsleistung sei von rund 25 Prozent im Jahr 1990 auf heute nur noch 14 Prozent gesunken. Hauptgrund für diesen Rückgang ist allerdings nicht die Schwäche der europäischen Volkswirtschaften, sondern der wirtschaftliche Aufholprozess vieler Schwellenländer, allen voran China. Dieser Prozess hat auch Folgen für die USA. Die US-Sicherheitsstrategie verschweigt, dass der Anteil der USA an der globalen Wirtschaftsleistung ebenfalls gesunken ist, von 22 Prozent im Jahr 1990 auf 15 Prozent im Jahr 2025.
Um dem weiteren Bedeutungsverlust Europas entgegenzuwirken, gibt es tatsächlich viel zu tun. Dass der EU-Anteil am Weltmarkt nicht noch stärker geschrumpft ist, liegt allein daran, dass einige EU-Mitgliedstaaten wie etwa Polen, Tschechien und Ungarn seit dem Ende der kommunistischen Herrschaft starkes Wirtschaftswachstum aufweisen. Auch sie durchlaufen einen Aufholprozess. Richtig ist, dass die alten EU-Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschland, Frankreich und Italien, sich wirtschaftlich seit längerer Zeit schlecht entwickeln.
Nun zur Diagnose: Die US-Sicherheitsstrategie macht für den „Niedergang Europas“ die Überregulierung verantwortlich. Das ist nicht neu, aber eben auch nicht von der Hand zu weisen. Mario Draghi hat in seinem Bericht über die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der EU die Über- und Fehlregulierung ebenfalls scharf kritisiert.
Ein Weckruf könnte auch die Überschrift des Kapitels zum alten Kontinent sein: „Europas Größe fördern.“ Hier schlägt der US-Bericht allerdings genau das Falsche vor, nämlich eine Abkehr der Nationalstaaten von der EU. Die EU-Mitgliedstaaten sollen nach Ansicht der USA künftig wieder allein ihre Interessen verfolgen – divide et impera. Hier ist das Gegenteil richtig: Wenn Europa wieder zu mehr wirtschaftlicher Stärke finden soll, dann wird das nur mit der EU gehen, nicht ohne sie.
Allerdings einer EU, die sich wieder ihren Kernaufgaben zuwendet – der Vertiefung des Europäischen Binnenmarktes und der Vertretung der gemeinsamen Interessen der Mitgliedstaaten nach außen. Europa braucht Größe und Stärke, als gemeinsamer Wirtschaftsraum und als europäischer Pfeiler der Nato. Das wäre ein weniger von den USA abhängiges Europa, aber auch eins, in dem der amerikanische Einfluss geringer wird.