Gastkommentar: Trump will die Europäische Union unterwerfen

Mit der neuen nationalen Sicherheitsstrategie hat Präsident Trump die transatlantische Partnerschaft schwer beschädigt oder gar aufgekündigt. Dies ist keine wirkliche Überraschung, überraschend sind nur die Brutalität und der Stil.
Trump ist nicht mehr ein Partner Europas, er ist auch nicht mehr ein neutraler Moderator zur Beendigung des Krieges von Russlands Präsident Wladimir Putin gegen die Ukraine und gegen Europa, er ist unser Gegner und übernimmt russische Strategien. Damit ist ein neuer Tiefpunkt unserer Beziehung erreicht. Aber er geht noch weiter: Er will die Europäische Union unterwerfen oder gar zerstören. Sein früherer Weggefährte Elon Musk will die Europäische Union abschaffen.
Nach meiner Überzeugung unterschätzt er Europa und das Potenzial unseres Kontinents. Die Regierung Trump faselt von einem Problemfall, von einem schwachen und sterbenden Kontinent, die Gefahr des wirtschaftlichen Niedergangs und eines zivilisatorischen Verschwindens wird an die Wand gemalt.
Trump liegt mit seiner Analyse nicht völlig falsch, aber es liegt an uns, seine Prognosen zu widerlegen. Europa braucht Regierungen, die mutige, unpopuläre Reformen angehen, und eine Gesellschaft, die notwendige Zumutungen akzeptiert. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, um stärker zu werden und um wieder ernst genommen zu werden.
Dabei geht es um zwei Aufgabenfelder: Es geht um Sicherheit und es geht um Wettbewerbsfähigkeit. Um unseren Wohlstand zu erhalten, um Stagnation oder gar Rezession zu überwinden und um weltpolitikfähig zu werden, brauchen wir eine umfassende Reformagenda auf der Ebene der EU und auf der Ebene der Mitgliedstaaten.
Griechenland, Portugal und Polen gehen mit gutem Beispiel voran, Frankreich und Deutschland müssen ihren Stillstand überwinden. Mit wirtschaftlichem Wachstum und mit Wettbewerbsfähigkeit bleibt Europa für seine Mitgliedstaaten attraktiv. Dann wird die Strategie von Trump „divide et impera“ nicht aufgehen, dann wird er Länder wie Italien, Österreich, Polen und Ungarn nicht aus der EU herausziehen.
Europa ist ein attraktiver Kontinent
Europa ist und bleibt ein attraktiver Kontinent und besteht viele Vergleiche mit den USA: Die Gewaltenteilung ist bei uns nicht gefährdet, in den USA schon. Die EZB, die Bundesbank, der Europäische Gerichtshof und das Bundesverfassungsgericht – im Vergleich zur Fed und zum Supreme Court ist die Autorität und Unabhängigkeit in Europa nicht gefährdet. Unsere Gesundheitssysteme, unsere Kriminalitätsbilanzen, unsere Bildungssysteme sind, wenn man von den amerikanischen Elite-Universitäten einmal absieht, den amerikanischen Strukturen gegenüber überlegen. Schon jetzt werden die Hochschulen in den USA und die Wissenschaft insgesamt gegängelt.
Richtig ist, dass die Digitalunternehmen der USA uns weitgehend überlegen sind. Aber Wirtschafts- und Arbeitsmarkt in der Breite mit Handwerk, Gewerbe, Handel, Industrie sowie freien Berufen sind ein klarer Vorteil für Europa.
Der Zustand unserer Gesellschaft in Europa zeigt sicherlich Schwächen auf, aber im Vergleich dazu sind die Spaltung der Gesellschaft, das Informationsgefälle, die Allgemeinbildung und das Leben der Mittelschicht, gerade in ländlichen Räumen, ein weit größeres Problem in den USA. Natürlich ist Europa mit seiner Rechtsstaatlichkeit langsamer mit Entscheidungen und Reformen, als es Trump mit seinen Dekreten und seinem autokratischen Verständnis ist. Dafür sind wir zuverlässiger und berechenbarer. Europa ist ein sicherer Hafen.
Die USA haben eine korrupte Regierung
Natürlich sind unsere Kirchen und unsere Religionen schwächer als früher, aber es gibt bei uns keinen vergleichbaren Einfluss von demokratiefeindlichen Pseudoreligionen wie in den USA. Auch der Vergleich der Gesamtverschuldung von öffentlichen Kassen, Wirtschaft und Gesellschaft fällt klar zugunsten Europas aus. Und: Die Europäische Union ist ein Friedensprojekt nach innen und nach außen. Die amerikanische Regierung handelt zunehmend gegenteilig.
Mit Reformen, Verteidigungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit können wir auch ohne und gegen die USA von Donald Trump bestehen und damit die Überlegenheit von Demokratie gegenüber Autokratie und Willkür beweisen. Die USA haben eine korrupte Regierung, unsere Regierungen müssen ihre Schwäche überwinden.
P.S.: Am 19. Juli 2026 findet in New York das Endspiel um die Fußball-Weltmeisterschaft statt. Vielleicht können zwei europäische Mannschaften vor Donald Trump und der Weltöffentlichkeit ihre Exzellenz beweisen …






Der Autor: Günther Oettinger ist Präsident von United Europe e.V. Er war Ministerpräsident von Baden-Württemberg und EU-Kommissar.
Erstpublikation: 14.12.2025, 17:03 Uhr.







