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InnovationEuropa braucht endlich ein Champions-League-Mindset

KI revolutioniert die Wirtschaft, aber wir schauen nur auf die Risiken, mahnt Philipp Depiereux. Er hat ein Rezept parat, wie wir vorn mitspielen können im globalen Technologierennen. 10.10.2025 - 04:00 Uhr Artikel anhören
Künstliche Intelligenz (Illustration), Kolumnist Depiereux: „Haltung bedeutet nicht Stillstand. Haltung braucht Handlung.“ Foto: Getty, PR

Vergangene Woche las ich eine Nachricht, die mich mit Stolz erfüllt: In Jülich, direkt neben meiner Heimatstadt Düren, steht seit Kurzem der leistungsstärkste Supercomputer Europas: Jupiter. Ein technologisches Meisterwerk, das Europa in die Liga der sogenannten Exascale-Nationen bringt – also jener Länder, deren Rechner mehr als eine Trillion Rechenoperationen pro Sekunde schaffen.

Damit lassen sich komplexe Klimamodelle berechnen, neue Medikamente entwickeln oder ganze KI-Systeme trainieren. Es ist ein europäischer Meilenstein, ein Projekt von Weltrang – made in Germany. Und doch: Kaum jemand spricht darüber. Kein Jubel, keine Debatte, keine Begeisterung. Warum eigentlich?

Ich glaube, es liegt an unserem Mindset. Wir in Europa – und besonders wir Deutschen – haben verlernt, stolz auf Erfolge zu sein. Wir feiern sie nicht, wir reden sie klein. Wir suchen nach Risiken, bevor wir Chancen erkennen. Wir planen, wo andere längst handeln. Wir regulieren, bevor wir skalieren. Und wir zweifeln, wo andere einfach machen.

Dieses Zögern zieht sich durch viele Bereiche. Wir sind großartig im Entwickeln, aber schlecht im Umsetzen. Wir haben Forschergeist, aber selten Gründergeist. Und wir neigen dazu, Probleme zu sehen, wo andere Möglichkeiten entdecken. Das war schon beim MP3-Format so, das in Deutschland erfunden, aber im Silicon Valley groß gemacht wurde. Und jetzt, bei der Künstlichen Intelligenz, stehen wir wieder an genau dieser Weggabelung.

Innovation im Wochentakt

Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich im Flieger nach Dallas, zur AI Marketing World. Einer Konferenz, auf der es nicht um Ethikkommissionen oder Regulierungsfragen geht, sondern um Tools, Produkte und Geschäftsmodelle. Dort wird KI nicht als Risiko verstanden, sondern als Wachstumsmotor. Nicht als Bedrohung, sondern als Werkzeug. Hier entsteht Innovation im Wochentakt. Unternehmen und Gründer zeigen, was heute alles möglich ist – und wie sie mit KI schon ganze Branchen umkrempeln.

Künstliche Intelligenz

Ringen um deutschen Supercomputer: Unternehmen verhandeln wieder über Gigafactory

Ein Beispiel ist „adlegends.ai“, eine menschliche KI-Agentur, die heute schon komplette Werbeagenturen ersetzt – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Menschlich deshalb, weil die KI hier nicht anonym im Hintergrund arbeitet, sondern von echten Kreativen, Strateg:innen und Marketer:innen geführt wird.

Die Menschen bei Adlegends trainieren und steuern die KI-Modelle, geben Feedback und kombinieren damit das Beste aus beiden Welten: kreative Intuition und maschinelle Präzision. So entstehen Kampagnen, die nicht nur effizient sind, sondern auch emotional wirken. Die KI übernimmt Routine und Analyse, der Mensch sorgt für Story, Tonalität und Haltung. Diese Symbiose macht das Modell so kraftvoll – technologisch automatisiert, aber in seiner Wirkung zutiefst menschlich.

Unternehmen, mit denen ich in Deutschland arbeite, lassen dort ganze Kampagnen entwickeln – Strategie, Texte, Bilder, Visuals, alles inklusive. Was früher Wochen oder gar Monate dauerte, passiert jetzt in Minuten. Kein Pitch-Marathon, kein Abstimmungschaos, keine sechsstelligen Etats. Stattdessen eine monatliche Lizenz für wenige Dollar. Und das Erstaunliche: Die Ergebnisse sind oft besser als das, was klassische Agenturen liefern. Schneller, präziser, datengetriebener – und gleichzeitig erstaunlich menschlich im Ergebnis.

So verschmelzen Mensch und Maschine, Echtzeit und Empathie – in einer Qualität, die noch vor einem Jahr undenkbar war.

Oder „mypersonas.ai“, eine Plattform, die virtuelle Avatare auf Websites bringt – nicht als Chatbot, sondern als echten Gesprächspartner. Kundinnen und Kunden können Fragen stellen, der Avatar antwortet mit Stimme, Mimik und Persönlichkeit. Wenn er einmal nicht weiterweiß, übernimmt automatisch das reale Support-Team.

So verschmelzen Mensch und Maschine, Echtzeit und Empathie – in einer Qualität, die noch vor einem Jahr undenkbar war. Das ist keine Zukunft, das ist Gegenwart. Und sie verändert gerade die Art, wie wir kommunizieren, beraten und verkaufen – in einem atemberaubenden Tempo.

Haltung braucht Handlung

In Europa dagegen wird über Datenschutz, Verantwortung und Haftungsfragen diskutiert. Alles wichtig, keine Frage. Aber in der Zwischenzeit ziehen andere an uns vorbei. Während wir noch prüfen, ob eine KI „sicher“ genug ist, bauen amerikanische Unternehmen längst neue Geschäftsmodelle darauf auf.

Während wir uns fragen, ob KI Arbeitsplätze gefährdet, schaffen sie neue Industrien. Während wir abwägen, ob wir etwas dürfen, tun andere es längst – und optimieren es anschließend. Wir sind zu sehr mit Bedenken beschäftigt statt mit Begeisterung.

Ich sage nicht, dass wir blind kopieren sollen. Ganz im Gegenteil. Haltung ist zentral. Social Scoring, Überwachung, manipulative Algorithmen – das darf es mit KI niemals geben. Hier braucht es klare ethische Grenzen, europäische Werte und demokratische Leitplanken.

Aber Haltung bedeutet nicht Stillstand. Haltung braucht Handlung. Wir können nicht gleichzeitig moralischer Vorreiter und technologischer Nachzügler sein. Wir müssen beides können: mit Verantwortung führen – und mit Mut gestalten.

Wenn wir weiter Champions League spielen wollen, reicht es nicht, nur Weltklasse-Technologien zu entwickeln. Wir müssen auch Weltklasse im Anwenden werden. Wir brauchen ein neues Selbstverständnis – ein Champions-League-Mindset. Eines, das mutiger ist, pragmatischer, schneller. Eines, das sagt: „Wir können das. Wir wollen das. Und wir machen das jetzt.“

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Künstliche Intelligenz ist kein Feind der Arbeit. Sie ist der Freund der Wirkung. Sie ersetzt keine Menschen – sie befreit sie von Routinen. KI eröffnet neue Freiräume für Kreativität, Innovation und Verantwortung. Doch dafür müssen wir uns endlich trauen. Wir müssen KI-Weltmutführer werden – mit Haltung, Herz und Highspeed. Jupiter darf kein Denkmal bleiben. Er kann der Startschuss für Europas neuen Mut sein.

Philipp Depiereux ist Unternehmer und Autor und lebt mit seiner Frau und seinen vier Kindern seit knapp drei Jahren in Newport Beach, Kalifornien. Er teilt seine Eindrücke aus den USA und Deutschland alle 14 Tage im Handelsblatt-Wochenende.

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