Morning Briefing: Wer schafft es, durch die neue geopolitische Realität zu navigieren?
Jahreswechsel: Die wichtigsten Fragen 2026 / Mercosur: Abkommen verzögert sich
Liebe Leserinnen und Leser,
Menschen sind Gewohnheitstiere, und als solche nehmen sie gerne an, dass bestimmte Situationen ewig anhalten. Mehr noch, sie können sich nicht vorstellen, dass sich vermeintliche Gewissheiten fundamental verändern können. Dieses Gefühl beschreibt Handelsblatt-Chefredakteur Sebastian Matthes in seinem großen Essay, der sich mit den Themen des kommenden Jahres beschäftigt. Er schreibt:
Doch das Jahr 2025 habe uns eines Besseren belehrt. Es sei gut möglich, dass Europa nun endlich begreife, dass es auf sich allein gestellt sei, und tatsächlich enger zusammenrücke, Bürokratie abbaue und den Binnenmarkt weiter zusammenführe. Als wichtigstes Thema für 2026 identifiziert der Chefredakteur deshalb die Frage danach, wer am schnellsten lernt, die neue geopolitische Realität zu navigieren.
Doch auch auf technologische Trends möchte die Handelsblatt-Redaktion im kommenden Jahr verstärkt blicken. Auf die Frage, ob wir bald in selbstfahrenden Autos „Made in Germany“ sitzen werden. Auf die Frage, ob die Künstliche Intelligenz bald autonome Entscheidungen trifft und danach handelt. Aber auch auf die Frage, ob sich hinter dem Hype um KI nicht doch eine gigantische Blase versteckt. Wenn Sie wissen wollen, was im kommenden Jahr wichtig wird, empfehle ich Ihnen den Ausblick des Chefredakteurs im großen Freitagstitel.
Doch Themen wären nichts ohne Menschen, die sie voranbringen. Menschen, die in dieser komplexen Gemengelage den Überblick behalten, neue Ideen entwickeln und sich trauen, Altbekanntes einzureißen. Deshalb wird das Handelsblatt über die kommenden Tage und Wochen die Menschen des Jahres 2025 vorstellen und einen Blick in die Zukunft wagen, wer 2026 wichtig wird.
Zu den wichtigsten Persönlichkeiten, die eine Jury aus Politik und Wirtschaft gekürt hat, zählen Menschen im Zentrum der Macht wie Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) aber auch stille Innovatoren wie die Gründerinnen und Gründer des Kernfusion-Start-ups Marvel Fusion.
Bei all den globalen Umbrüchen, bei all den Herausforderungen und Problemen für den Standort Deutschland braucht es eine neue Erzählung des Aufbruchs. So sieht es Familienunternehmer Maximilian Viessmann, CEO der Viessmann Group. Er fordert im Handelsblatt-Interview ein „positives Narrativ“ für das Land und zeigt sich kämpferisch:
Chancen für eine solche neue Erfolgserzählung sieht Viessmann in einer steigenden digitalen Souveränität in der Infrastruktur und in der Verteidigung. Außerdem hegt der Unternehmer die Hoffnung, dass Deutschland bei KI-Anwendungen insbesondere in der Industrie führend werden könnte – dort also, wo „Domänenwissen“ entscheidend sei.
Mercosur-Abkommen verzögert sich weiter
Das Freihandelsabkommen der EU mit den Mercosur-Staaten ist noch nicht ganz tot – doch lebendig wird es in diesem Jahr wohl auch nicht mehr. Gestern haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU nach einem zähen Ringen geeinigt, die Unterzeichnung auf Januar zu verschieben. Damit gingen sie auf die Forderungen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ein.
Angesichts der Reaktion aus Südamerika dürften sich die Europäer erleichtert zeigen. Denn der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, der ursprünglich auf eine Unterzeichnung am Samstag gepocht hatte, zeigte sich offen für einen Aufschub. Er will nun mit den anderen Mercosur-Staaten beraten, ob sie der EU eine Fristverlängerung einräumen sollen.
Frankreich und Italien pochen auf mehr Schutz für die heimische Landwirtschaft. Meloni und Macron sagten auf dem gestrigen Gipfel, der Vertrag könne noch nicht unterzeichnet werden, weil die entsprechenden Klauseln für die europäischen Bauern noch nicht rechtskräftig seien.
Ukraine erhält frisches Geld
Die EU hat der Ukraine auf dem Gipfel in Brüssel einen Kredit über 90 Milliarden Euro für die Jahre 2026 und 2027 zugesagt. Die 27 Mitgliedstaaten einigten sich in der Nacht darauf, dass die EU-Kommission das zinslose Darlehen aufnimmt. Die Ukraine muss das Geld nur dann zurückzahlen, wenn Russland Reparationen für die Zerstörungen des seit 2022 geführten Krieges leistet.
Bundeskanzler Friedrich Merz wertete den Beschluss als klare politische Botschaft:
Die in der EU eingefrorenen russischen Staatsguthaben von rund 210 Milliarden Euro bleiben blockiert, betonten Merz und EU-Ratspräsident António Costa.
Die EZB blickt entspannt in die Zukunft
Die Notenbänker der Europäischen Zentralbank (EZB) lehnen sich kurz vor Weihnachten zurück und machen ein kleines Zinspäuschen. Denn das ökonomische Stimmungsbild hat sich in den vergangenen Monaten deutlich zum Besseren gewandelt. Die Risiken für die Inflation scheinen ausgewogen, das Wachstum ist stärker als erwartet. Kurzum: Der Handlungsdruck hat sich spürbar verringert, sollten keine neuen, tiefgreifenden Schocks auftreten.
Gestern beschloss die EZB deshalb erwartungsgemäß, den relevanten Einlagezins bei 2,0 Prozent zu belassen. Einstimmigkeit habe aber auch darüber bestanden, dass weiter alle Optionen auf dem Tisch liegen müssten – also sich die Notenbanker in naher Zukunft doch auch noch für eine weitere Zinssenkung entscheiden könnten.
Staunen bis ins hohe Alter
Zum Abschluss möchte ich Ihnen noch eine nette Geschichte der BBC präsentieren. Der Fernsehsender hat den 99-jährigen legendären Naturreporter Sir David Attenborough bei einem neuen Abenteuer auf den Spuren der Tiere begleitet – in seiner Heimat London.
Auch in der britischen Hauptstadt gibt es faszinierende Naturspektakel zu beobachten: einen Igel, der sich durch eine urbane Gartenanlage schnüffelt, oder eine neugierig hopsende Taube in der Londoner U-Bahn. Attenborough ist von ihnen allen begeistert und zeigt, wie man auch nach bald einem Jahrhundert auf diesem Planeten über die kleinen Dinge staunen kann.
Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, an dem Ihnen kein noch so kleines Wunder entgeht.
Es grüßt Sie herzlich Ihre
Teresa Stiens