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Kolumne „Kreative Zerstörung“Für einen neuen Fortschrittspatriotismus

Die Regierung streicht fast 374 Millionen Euro für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Jetzt gilt es, sich sehr konkrete Gedanken zu machen, meint Miriam Meckel. 29.08.2023 - 12:13 Uhr Artikel anhören

In dieser Kolumne schreibt Miriam Meckel 14-täglich über Ideen, Innovationen und Interpretationen, die Fortschritt und ein besseres Leben möglich machen.

Foto: Klawe Rzeczy

Politische Führung signalisiert, in welche Richtung es mit dem Land gehen soll. In Deutschland weisen die Zeichen gerade Richtung Vergangenheit. Von 377 Millionen Euro in diesem Jahr auf 3,3 Millionen Euro im nächsten Jahr will die Ampel die Mittel für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung zusammenstreichen. Das ist keine Anpassung, das ist eine strategische Ausmerzung auf einem der wichtigsten Zukunftsfelder. Ist da jemandem der Rotstift ausgerutscht? Oder sind wir inzwischen an dem Punkt, an dem die Bundesregierung den Gedanken an Deutschlands technologische Wettbewerbsfähigkeit schlicht aufgegeben hat?

Die Reaktionen auf diese Ankündigung schwanken zwischen Fassungslosigkeit und Wut. Aus gutem Grund: Aus den USA und aus China kommen beispielweise die großen Sprachmodelle, die jeden Stein umdrehen werden, auf dem unsere Wirtschaft aufbaut. Wir haben nichts Vergleichbares zu bieten. Das Rennen ist schon jetzt gelaufen, denn die Milliardeninvestitionen und Entwicklungsrunden, die Unternehmen wie OpenAI, Google und Meta in die nächste Zündstufe künstlich intelligenter Systeme gesteckt haben, lassen sich kaum mehr aufholen. Zu schnell ist hier der Markt durchdrungen mit Anwendungen, die nützlich und produktivitätssteigernd sind.

Es ist erfreulich, dass Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger nun ein KI-Förderprogramm über 1,6 Milliarden Euro angekündigt hat. Allein: Das hätte Deutschland viel früher gebraucht, bevor wieder andere die Regeln des Marktes festgelegt haben. Vermutlich müssen die künftigen Förderanträge an die analoge Verwaltung gefaxt werden.

Jammern hilft nicht. Wohl aber, sich sehr konkrete Gedanken zu machen, in welchem Sektor unsere Chancen noch liegen könnten. Zu einem der wichtigsten Fortschrittsthemen wurde die Tür gerade einen Spalt weit aufgestoßen – um dann leider wieder zuzuschlagen.

LK-99 ist die Mondlandung der Materialwissenschaften

Ein Forscherteam in Südkorea hatte verkündet, den Schlüssel zu fast allen wichtigen Herausforderungen unserer Zukunft gefunden zu haben: einen Supraleiter, der bei Zimmertemperatur und unter normalem Druck perfekt leiten kann. Die Erfindung, benannt „LK-99“, sollte einen neuen historischen Moment in der Fortschrittsgeschichte bedeuten, sozusagen die Mondlandung der Materialwissenschaften. Am Ende war es dann offenbar doch eher ein Hüpfer im Sandkasten, eine Tagträumerei der Wissenschaftsgeschichte.

Ein bisschen mehr von dieser Tagträumerei würde sich lohnen, denn solche bei Raumtemperatur einsetzbaren Supraleiter versprechen fantastische Einsatzmöglichkeiten. Sie lassen Energie ohne Widerstand fließen, sind also supereffizient in der Energieübertragung. Das klappt bislang nur, wenn die Umgebung extrem heruntergekühlt ist, in der Regel auf minus 270 Grad. Neuere Forschung, beispielsweise am Max-Planck-Institut, hat schon bei minus 70 Grad gute Erfolge erzielt. Aber es bleibt aufwendig, die Bedingungen zu schaffen, unter denen Supraleiter wirklich gut arbeiten.

In der deutschen Geschichte finden sich zahlreiche Eroberungen neuer Territorien im Feld der Materialwissenschaften und benachbarter Forschungsgebiete.

Wenn uns das irgendwann gelingt, dann wird es die Welt verändern. Es würde den verlustfreien Transport erneuerbarer Energien über große Distanzen ebenso ermöglichen wie neue umweltfreundliche Batteriesysteme, hochauflösende bildgebende Verfahren in der Medizin, ultraschnelle Magnetschwebezüge, Computerchips, die etwa zehnmal so schnell und 300-mal so energieeffizient wären wie derzeitige Silikonchips, und schließlich die nukleare Fusion, mit der sich die Energieprobleme der Menschheit lösen ließen.

Was hat das alles mit uns zu tun? Eine ganze Menge, denn in der deutschen Geschichte finden sich zahlreiche Eroberungen neuer Territorien im Feld der Materialwissenschaften und benachbarter Forschungsgebiete. Der Kühlschrank, der Fernseher, der Geigerzähler und natürlich die Automobil- und Transporttechnik gehen ebenso auf den deutschen Forscher- und Erfindergeist zurück wie die Braunsche Röhre und die Röntgentechnologie. Konrad Zuse baute den ersten kommerziellen Computer. Otto Hahn und Lise Meitner erarbeiteten die technologischen Grundlagen der Kernspaltung, Max Planck, Werner Heisenberg und Max Born wagten es, die unvorstellbaren Möglichkeiten der Quantenphysik als Forschungsfeld zu etablieren, und Robert Koch zeigte der Welt die Potenziale der Mikrobiologie.

Deutschland, das war mal ein Land, in dem die Zukunft gedacht und gemacht wurde

Und jetzt? Jetzt sind wir müde, ideenlos und scheren uns offenbar nicht mehr um die großen Durchbrüche. Dabei wäre ein Thema wie der Supraleiter genau das Richtige, um das Feuer der deutschen Forschung und Ingenieurkunst neu anzufachen. Die Kraft von „made in Germany“ ist verblasst. Aber wenn es gelänge, in den Materialwissenschaften richtig loszulegen, dann wäre „Supraconducting powered by Germany“ in den künftigen Anwendungsfeldern dieser Technologie, der Mobilität, der Energieversorgung und Rechenpower, eine Riesenchance für Deutschland.

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Dafür bräuchten wir die Superkraft der deutschen Wirtschaft, eine beachtliche Summe von Forschungsgeldern und Investitionskapital sowie den gemeinsamen Willen, einen großen Sprung nach vorne zu machen auf den Marktplatz, auf dem unsere Zukunft entschieden wird. Eine solche Kombination stünde für einen Fortschrittspatriotismus, der uns wieder an die Spitze der gestaltenden Nationen führt.

Es bräuchte dazu aber auch eine politische Supraleitung, die es schafft, mal etwas ohne maximalen Energieverlust an den Start zu bringen und langfristig durchzuhalten.

Mehr: Kolumne „Kreative Zerstörung“ – Europa und die KI-Regeln: Heilen statt heulen

Miriam Meckel
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