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SouveränitätSo kommen Sie gelassen durch alle Lebenslagen

Perfektionismus plagt auch unsere Kolumnistin, hohe Ansprüche an sich selbst hielt sie für selbstverständlich. Erst spät erkannte sie, dass im Zweifel und Hadern die Kraft für den Alltag liegt.Patricia Thielemann 27.06.2025 - 04:00 Uhr Artikel anhören
Kolumnistin Thielemann, Angelpose: „Echte Souveränität liegt nicht darin, sofort eine Antwort zu haben oder spontan immer eine glatte Performance abzuliefern.“ Foto: Knyckriem, Getty Images

Früher träumte ich davon, eines Tages unerschütterlich über allem zu stehen – wie ein menschlicher Leuchtturm mit der ultimativ richtigen Antwort auf jede erdenkliche Lebensfrage.

Als Yogalehrerin glaubte ich, sämtlichen kritischen Diskursen über einen philosophisch anspruchsvollen, für unseren Kulturkreis relevanten Yogaansatz spontan und souverän gewachsen sein zu müssen – rhetorisch geschult, argumentativ sattelfest, jederzeit im Einklang mit mir selbst und natürlich: stets wohlwollend gegenüber allen anderen Sichtweisen.

Als geistliche Begleiterin wiederum wollte ich bei den großen Lebensfragen aus dem Stegreif eine feinfühlige, präsent lauschende Stütze sein – fähig, Menschen in einer säkularen Welt umgehend Halt und Zuversicht zu geben, ohne je in esoterische Honigtöpfe zu greifen oder zur Hobby-Psychologin zu verkommen.

Und als Unternehmerin mit einem diversen Team von über 80 Mitarbeitenden dachte ich, ich müsste Krisen jeder Art – von coronabedingten Schließungen über strategische Wendepunkte bis zu juristischen Streitigkeiten – intuitiv vorwegnehmen, lösen, moderieren. Möglichst gleichzeitig und immer präzise.

Ein völlig überzogener Anspruch, der von vornherein unmöglich zu erfüllen war.

Auch privat verspürte ich den unerlässlichen Drang, fortwährend meine Performance unter Beweis zu stellen. Perfekte Mutter, Knock-out-Partnerin, vorausschauende Hausherrin.

Dann kamen Entscheidungen wie diese: Soll ich meinem 17-Jährigen erlauben, das 2.000-Euro-Erbe seiner Großmutter in ein NFT zu investieren, das ihm angeblich lebenslangen VIP-Zugang zu globalen Rap-Festivals verschafft?

Oder die Einschätzung des Sachverständigen, der mir wegen eines faustgroßen Schimmelflecks mit professioneller Gewissheit verkündete, dass die komplette Außenwand trockengelegt werden müsse – anderenfalls drohen strukturelle Schäden an der gesamten Fassade. In dem Moment bröckelten nicht nur feuchte Mörtelkrümel, sondern auch meine Souveränität.

So ist das eben: Was harmlos aussieht, hat oft mehr Sprengkraft als gedacht. Ob im Beruf oder privat – die wenigsten Fragen lassen sich mal eben schnell abhandeln.

Offenbarung im Stuhlkreis in Plön

Gerade bei hohen Ansprüchen an sich selbst wird diese Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität besonders schmerzhaft. Regelmäßig geriet ich an die Grenzen meines eigenen Ideals von Klarheit.

Ich hatte mich selbst zur Instanz innerer Souveränität erklärt – ohne Spielraum für Zweifel. Und so wurde jedes Zögern, jedes emotionale Stolpern zur gefühlten Blamage: Ich genüge nicht. Ich bin nicht fertig. Noch nicht klug genug, ruhig genug, weise genug.

Doch dann begegnete mir – zunächst ganz unverhofft – im Stuhlkreis eines Seminars des Schulz von Thun-Instituts in der Nähe von Plön der Begriff der Souveränität zweiter Ordnung.

Was ich dort lernte, war einfach und gleichzeitig grundlegend: Dass echte Souveränität nicht darin liegt, sofort eine Antwort zu haben oder spontan immer eine glatte Performance abzuliefern – sondern innezuhalten, die verschiedenen Stimmen in sich zu ordnen, Widersprüche auszuhalten und mit etwas Abstand eine tragfähige Lösung zu entwickeln.

Das beschreibt Souveränität zweiter Ordnung: Nicht im glänzenden Auftritt oder in Überlegenheit, sondern in der Fähigkeit, mit sich selbst im Gespräch zu bleiben – auch wenn man nicht sofort weiß, was richtig ist.

Statt reflexhaft zu reagieren, schafft sie Raum für Neujustieren und verantwortetes Nachreichen. Und sie ermöglicht es, das aufzuarbeiten, was beim ersten Anlauf aus dem Ruder geraten ist.

Unbehagen zulassen

Eine solche Souveränität erlaubt es, nicht sofort liefern zu müssen. Es erfordert Mut, sich auf das Unbehagen einzulassen, das Ungewissheit mit sich bringt, statt dieses Gefühl mit innerlich getriebenen Hauruck-Aktionen zu übertünchen.

Wir leben in einer Kultur des Nicht-genug-Seins.
Brené Brown
Autorin

Die Autorin Brené Brown beschreibt präzise: „Wir leben in einer Kultur des Nicht-genug-Seins.“ Doch nicht jede Lage verlangt nach sofortigem Durchblick. Manchmal braucht es vor allem die innere Erlaubnis, noch nicht so weit zu sein.

Auch ist es kein Versagen, mal rau und ungehobelt zu reagieren – eben nicht immer glattpoliert wie ein antrainierter Experte gewaltfreier Kommunikation. Wir dürfen zögern, situativ überfordert oder sprachlos sein. Entscheidend ist der Umgang damit. Mit etwas Abstand lässt sich oft besser erkennen, ob eine aufrichtige Entschuldigung angemessen ist – oder ob einem ein Vorgang auch nach eingehender Reflexion noch quer liegt.

Diese Aufrichtigkeit ist kein Zeichen von Versagen, sondern von gelebter innerer Führung. Das Ziel sind nicht makellose Lösungen auf Knopfdruck, sondern inmitten von Komplexität und Unsicherheit souverän mit sich selbst und anderen im Gespräch zu bleiben.

Patricia Thielemann ist Gründerin des Unternehmens Spirit Yoga. An dieser Stelle schreibt sie ein Mal im Monat über unsere mentale Gesundheit.

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