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Der ChefökonomIm Auftrag der Regierung – Die Rolle der Wirtschaftsberater

Wirtschaftsministerin Reiche und Finanzminister Klingbeil haben bekannte Ökonomen als persönliche Berater engagiert. Deren Aufgabe ist bislang unbestimmt. Eine Kritik.Bert Rürup 19.09.2025 - 11:51 Uhr Artikel anhören
Lars Klingbeil (SPD): Der Bundesfinanzminister hat einen persönlichen Wirtschaftsberater berufen. Foto: Britta Pedersen/dpa

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) hat einen neuen „wissenschaftlichen Beraterkreis zu Fragen der Marktwirtschaft und Ordnungspolitik“ berufen. Was dessen konkrete Aufgabe ist, wurde bislang nicht kommuniziert. Dies gilt gleichermaßen für Jens Südekum, den jüngst von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) berufenen persönlichen Beauftragten für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung.

Es versteht sich von selbst, dass kein Bundesfinanzminister alle Tiefen und Untiefen des Bundeshaushalts oder des Steuerrechts überblicken kann. Für diese und andere Fragen steht jedem Amtsinhaber ein Heer hochqualifizierter Fachbeamter zur Verfügung – derzeit verteilt auf elf Abteilungen und 185 Referate.

Die Abteilungsleiterstellen sind politische Positionen, die bei einem Regierungswechsel mit vertrauten Experten neu besetzt werden können. So machte Klingbeil den zuvor in Paris lehrenden Ökonomieprofessor Armin Steinbach zum Abteilungsleiter „Finanzpolitische und volkswirtschaftliche Grundsatzfragen“, also zu einer Art Chefvolkswirt seines Hauses.

Wie bereits bei Lars Feld, dem hauptamtlich an der Universität Freiburg forschenden Finanzwissenschaftler und persönlichen Beauftragten des Ex-Finanzministers Christian Lindner (FDP), stellt sich die Frage, was die konkrete Aufgabe solch eines Beauftragten ist – und was dieser besser beherrscht als die Beamten im Finanzministerium.

In welcher Rolle äußert sich ein Berater?

Klingbeils neuer Berater Jens Südekum ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Nach eigenen Angaben forscht er auf den Gebieten „Außenhandel, Regionalpolitik, Digitalisierung und lokale Arbeitsmärkte“. Konkrete Fragen von Klingbeil an seinen Berater oder dessen Antworten sind bislang nicht bekannt.

Ebenso weiß die Öffentlichkeit nicht, ob sich Südekum in seinen Interviews und Zeitungsbeiträgen gerade als Berater des Ministers oder als unabhängiger Lehrstuhlinhaber äußert. Denn die beiden Positionen müssen nicht zwingend deckungsgleich sein.

Ähnlich verhält es sich mit dem neuen „wissenschaftlichen Beraterkreis“ von Wirtschaftsministerin Reiche. Dieses Gremium besteht aus vier bekannten, der neoliberalen Schule verpflichteten Ökonomen. Vergangene Woche machte dieses Team erstmals mit einem „Impulspapier mit Vorschlägen für die gesetzliche Rentenversicherung“ auf sich aufmerksam.

Kurios daran war weniger, dass dieses kein einziges neues Argument enthielt, sondern, dass die gesetzliche Rentenversicherung und deren Reform nicht in den Zuständigkeitsbereich des Wirtschaftsministeriums fallen.

Zudem gingen die Autoren mit keinem Wort darauf ein, dass Rentenpolitik in erster Linie Verteilungspolitik ist – und Ökonomen zwar Experten für Effizienzfragen sind, aber über keine besondere Expertise in Verteilungsfragen oder der Definition von sozialer Gerechtigkeit verfügen.

Über die Absicht, die mit der Veröffentlichung dieses Papiers zum gegenwärtigen Zeitpunkt verbunden war, lässt sich nur mutmaßen. Womöglich wollte das Team der von Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) für 2026 geplanten Regierungskommission vorab einige Ratschläge mit auf den Weg geben – selbst wenn die vorgebrachten Ideen sattsam bekannt sind.

Nicht auszuschließen ist, dass einer oder mehrere der Autoren sich selbst für diese Kommission ins Spiel bringen wollten. Nebulös blieb zudem, wer Adressat dieser Botschaft sein sollte: die Öffentlichkeit, der Bundeskanzler, die amtierende Sozialministerin oder die Wirtschaftsministerin selbst – wie dies bei einer Beratung üblich wäre.

Berater und Gutachter haben unterschiedliche Rollen

Im Gegensatz zu Gutachtern sollen Berater konkrete Handlungsempfehlungen zu einem vorgegebenen Problem aussprechen – und zwar unter Beachtung der Zielvorstellungen und Restriktionen des Auftraggebers. Genauso wie ein Unternehmensberater den Erfolg seines Mandanten wollen sollte, muss ein Politikberater den Erfolg der von ihm beratenen Politiker anstreben.

Im Gegenzug muss eine Regierung oder ein Minister Vertrauen in Kompetenz und Loyalität der eigenen Berater haben. Dies setzt voraus, dass sie das Recht haben, diese Berater selbst zu bestimmen.

Ludwig Erhard: Der CDU-Politiker, der Wirtschaftsminister und Bundeskanzler war, gilt als geistiger Vater des Sachverständigenrats. Foto: dpa

Begutachtung, mit der etwa der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) qua Gesetz betraut ist, richtet sich hingegen nicht an die Regierung, sondern an die Öffentlichkeit. „Der Sachverständigenrat soll Fehlentwicklungen und Möglichkeiten zu deren Vermeidung oder deren Beseitigung aufzeigen, jedoch keine Empfehlungen für bestimmte wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen aussprechen“, heißt im SVR-Gesetz aus dem Jahr 1963.

Ludwig Erhard, der geistige wie politische Vater dieses Gremiums, war der naiven Ansicht, dass durch eine breite Vermittlung ökonomischen Sachverstands Einzel- und Gruppeninteressen besser mit dem Gemeinwohl in Einklang gebracht werden könnten. Zudem war er der irrigen Überzeugung, dass es für jedes wirtschaftliche Problem stets genau eine bestmögliche Antwort gäbe.

Anders als vor gut sechs Jahrzehnten gibt es heute zahlreiche qualifizierte Begutachtungsgremien – neben nicht wenigen Welterklärern mit teils enormer Gefolgschaft. Die zu relevanten Teilen staatlich finanzierten großen Wirtschaftsforschungsinstitute erstellen regelmäßig Konjunkturprognosen sowie Gutachten zu aktuellen ökonomischen Fragen.

Viele Banken unterhalten exzellente volkswirtschaftliche Abteilungen. Ferner versuchen Gewerkschaften sowie Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände mit den in ihrem Auftrag erstellten Analysen die öffentliche Meinung und damit die Politik zu beeinflussen. Dabei werden Prägnanz und Schnelligkeit der Darstellung zunehmend wichtiger – was leider manchmal zulasten der Gründlichkeit geht.

Im Gegensatz zur Begutachtung hat Politikberatung stets einen konkreten Auftraggeber – die Regierung, einen Minister, eine Partei, einen Verband oder ein Unternehmen. Beratung bedingt die Aufgabe der Neutralität, nicht jedoch die Aufgabe der wissenschaftlichen Seriosität.

Vorbild USA?

In den USA ist der Transfer ökonomischen Wissens in die Politik sehr transparent organisiert. Dort wird klar unterschieden zwischen Begutachtung und wissenschaftlicher Beratung als Dienstleistung für die Regierung. Der Council of Economic Advisers etwa ist beim Weißen Haus angesiedelt und vorrangig dem Erfolg des jeweiligen Präsidenten verpflichtet. Außerdem sind dort die Kriterien und Auswahlprozeduren der berufenen Experten klar geregelt.

Insofern spräche manches dafür, auch in Deutschland die Politikberatung zu institutionalisieren. Dann wäre transparent, in welcher Rolle, mit welchem Ziel und gegenüber welchen Adressaten sich die Berater äußern.

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Zudem könnte es manch derzeitigem wissenschaftlichen Berater aus dem sprichwörtlichen Elfenbeinturm guttun, vorab im Austausch mit dem Beamtenapparat mögliche Hürden und Grenzen des politisch Machbaren auszuloten und diese Restriktionen in die Empfehlungen einfließen zu lassen.

Vom ehemaligen SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) stammt die Erkenntnis, dass in einer Demokratie jedem Schritt des politischen Gestaltens stets die Organisation der erforderlichen politischen Mehrheiten vorausgehen müsse – selbst wenn dies zu Verlusten an Stringenz des politischen Handelns führen sollte: eine Erkenntnis, die jeder gute Politikberater auch heute noch im Blick behalten sollte.

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