Sport-Motivation: Das treibt einen wirklich an, wenn es hart wird

So zuverlässig wie die Kilometerschilder tauchten während meines Laufs beim Münster-Marathon Anfang September die Schilder mit den Motivationssprüchen auf. Welche genau es waren, daran erinnere ich mich nicht mehr. Denn ein Marathon erfordert vom Körper vollen Einsatz, so richtig viel Blut fürs Hirn bleibt da nicht.
Aber sinngemäß appellierten die Sprüche immer an den eigenen Willen, die Stärke, das Durchhaltevermögen. Einen der Standardsprüche kurz nach 21,1 Kilometern vermisste ich und sagte ihn deswegen laut zu meinem Sohn, mit dem ich gemeinsam unterwegs war: „Zurücklaufen wäre jetzt weiter.“
Ich hatte seinen Wunsch vergangenes Jahr, auch mal einen Marathon zu laufen, aufgegriffen und ihm zu Weihnachten Startplatz, Laufschuhe und allzeit gute Ratschläge geschenkt. Weihnachten nähert sich ja immer verdammt schnell, so ein Septembermarathon überraschenderweise nach Weihnachten ebenfalls. Wo war sie hin, die Zeit, die man fürs Training eigentlich bräuchte?
Sagen wir so: Wir beide hätten uns da strenger an meine nicht nur väterlichen, sondern auch wirklich ernst gemeinten Hinweise auf die Vorbereitung halten können. Seine intensive Betätigung im Fitnessstudio und meine über die Jahre gewachsene Erfahrung sowie zwei absolvierte Langdistanztriathlons dieses Jahr würden schon irgendwie reichen, dachten wir uns wohl beide so.
Eine sehr konservative Zielzeit anpeilen, notfalls in der zweiten Hälfte die noch vorhandene Energie investieren und das Tempo anziehen, das war der Plan. Das funktionierte auch 30 Kilometer bis auf einen Dixie-Stopp ganz gut, die Stimmung war gelöst.
Die Sprüche auf den Schildern nahm ich bis dahin mehr oder minder schmunzelnd zur Kenntnis. Ich kenne sie alle. „Der Schmerz geht, der Stolz bleibt.“ „Man gibt Briefe auf, aber keinen Marathon.“ Mutmacherparolen und Schenkelklopfer.
Das eigentlich Schlimme an diesen Kalendersprüchen des freiwilligen Quälens: Sie sind alle richtig. Im Kern stimmen sie, und in der Rückschau schließe ich mich allen gerne an. Sie nützen einem unterwegs aber nur wenig – zumindest, wenn es nicht gelingt, emotional die Erkenntnis, die damit verbunden ist, abzurufen.
Der Sport beginnt, wenn es wehtut
Warum ist das so? Weil der Körper bei einer anstrengenden Tätigkeit, sei es ein Marathon oder exzessives Holzhacken, irgendwann nur noch ein einziges Signal sendet: aufhören. Krämpfe sind dabei noch das Unberechenbarste, die mit etwas Hilfe aber zu lösen sind.
Schwieriger wird es mit den immer schwerfälligeren Bewegungen – aus dem federnden Gefühl des Anfangs wurde spätestens ab Kilometer 30 das eines Kartoffelsacks beim Umstellen. Es gesellen sich Schmerzen an verschiedenen Stellen hinzu, und alles in Summe ergibt nur noch einen Wunsch: aufhören. Sofort.

Da beginnt der Sport. Vielleicht haben Sie in der Sportberichterstattung über Profis schon mal gehört, dass eine Athletin oder ein Athlet sagte, sie oder er sei „tief gegangen“. Was heißt das eigentlich? Sprachlich leitet sich das ab von „to dig deep“, tief graben, schürfen, wühlen. Die teils übermenschlich wirkenden Leistungen, die jede Hürde zu überwinden scheinen, benötigen keine gereimten Sprüche, sie erfordern die Überwindung der Körpersignale mit dem Kopf. Schmerzen ignorieren, Widerstände überwinden und weitermachen.
Das Faszinierende ist: Solange der Körper nicht wirklich zusammenbricht, kann er noch. Immer. Wirklich immer. Wenn der Kopf in der Lage ist, ihn zu überreden. Wer hier also eine klare Antwort hat, warum es lohnt, sich weiter zu quälen, der kommt auch weiter.
Psychotherapeutische Sitzung bei KM 35
In unserem Fall war es in Münster das unausgesprochene gegenseitige Versprechen, das gemeinsam durchzustehen. Mein Sohn, das ging mir Tage später auf, hatte sich vorgenommen durchzulaufen, keinesfalls zu gehen. Ich meinerseits ging schon und lief immer wieder los. Warum?
Mental näherte ich mich einem zentralen Kern meiner Psyche: Verantwortung übernehmen. Ich hatte versprochen, ihn zu begleiten. Meine Hinweise, er solle ruhig vorlaufen, wenn er noch könne, schlug er aus, also blieb mir nichts, als mein Weihnachtsgeschenk laufend einzulösen. Und dann geht es. Dann greift die mentale Stärke, übernimmt die Kontrolle über die mitleiderregende Laufbewegung.
Es ist völlig egal, was einen antreibt. Es kann auch die Angst vorm Versagen sein, ein selbst gegebenes Versprechen – es ist egal, was die Motivation ist, sie muss aber zwingend wirklich die sein, die einen dazu bringt, sich zu überwinden.
Sich gegenseitig nicht hängen zu lassen, das war in unserem Fall der Antrieb, sich weiterzuschinden.
Die wirklichen Motive, sich gegen jede Faser des Körpers zu stemmen, können mannigfaltig sein. Im besten Falle ist einfach der Wunsch nach einer bestimmten Leistung so stark, dass er reicht. Das kann natürlich auch eine bestimmte Zeitmarke sein, für die Monate an Training investiert wurden. Entscheidend ist, dass da was ist.
Das Ziel ist im Kopf. Ist es dort klar definiert, dann erreicht jeder mehr, als sie oder er glaubt, erreichen zu können. Das erfolgreiche Überwinden ist der Sieg, der einem für jede Zukunft Vertrauen gibt. Der Rest sind Schilder.


Thorsten Firlus ist Handelsblatt-Redakteur und ambitionierter Hobbysportler. An dieser Stelle verbindet er beides alle 14 Tage und schreibt darüber, wie Sie fit bleiben.
Mehr: Wie Menschen selbstwirksamer werden und warum Selbstzweifel sogar gut sein können.
Erstpublikation: 26.09.2024, 14:25 Uhr.








