Alterssicherung: Baustelle Rente – so ließen sich die Probleme entschärfen


Die wachsende Anzahl von Rentenbeziehern kann der bevorstehenden Bundestagswahl entspannt entgegensehen. Glaubt man den Wahlprogrammen der größeren Parteien, so haben sie keine Einschnitte zu befürchten – auch wenn Ökonomen oft anderes empfehlen. So garantiert die Union ein „stabiles Rentenniveau“, und SPD und Grüne wollen ein Rentenniveau von mindestens 48 Prozent sicherstellen.
Die FDP stellt ihre alte Idee einer Aktienrente ins Schaufenster. Die Linkspartei hält an ihrem Versprechen einer Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent fest, während die AfD langfristig für eine Rente in Höhe von 70 Prozent des letzten Nettoeinkommens plädiert.
SPD und Union schließen eine Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters aus. Wer über die bestehende Regelaltersgrenze hinaus arbeitet, der soll nach den Vorstellungen der Union bis zu 2000 Euro im Monat steuerfrei hinzuverdienen können. Die SPD will langfristig eine Bürgerversicherung realisieren, also alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) einbeziehen.
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Die Grünen möchten einen öffentlich verwalteten „Bürgerfonds“ für ergänzende Kapitaldeckung etablieren, dessen Erträge einer Anhebung kleiner und mittlerer Renten dienen sollen. Und die Grundrente soll zu einer Garantierente nach 30 Versicherungsjahren ausgebaut werden.
Die AfD verspricht, erforderliche Anhebungen des Rentenbeitragssatzes durch Steuersenkungen auszugleichen. Die Linkspartei will Versicherten einen früheren Renteneintritt ermöglichen sowie eine armutsfeste solidarische Mindestrente etablieren. Das BSW verspricht eine monatliche Mindestrente von 1500 Euro nach 40 Versicherungsjahren sowie einen Umbau der GRV nach dem generösen, aber deutlich teureren Konzept Österreichs.
Diesem „Wünsch-dir-was-Katalog“ stehen die nüchternen Analysen von Ökonomen gegenüber. So rechnet das Ifo-Institut vor, dass bereits 2023 die Höhe der Gesamtausgaben der gesetzlichen Altersversorgung etwa zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts entsprach. Bis zum Jahr 2038 werden diese Ausgaben nach den Berechnungen um mehr als 75 Prozent steigen, während die beitragspflichtigen Einkommen lediglich um 50 Prozent zunehmen.
Die Ampelregierung ging davon aus, dass bei geltendem Recht der Rentenbeitragssatz bereits im Jahr 2030 die 20-Prozent-Marke überschreiten und 2040 bei 21,3 Prozent liegen werde. Wäre das geplante „Rentenpaket II“ realisiert worden, hätte dieser Beitrag auf 22,3 Prozent angehoben werden müssen – und als vor einem Jahr diese Berechnungen erstellt wurden, waren die gesamtwirtschaftlichen Perspektiven noch günstiger, als sie es gegenwärtig sind.

Beim Blick auf diese Daten mahnt Martin Werding, der Rentenexperte im Sachverständigenrat: „Ohne Korrekturen wird die Rentendynamik zum Standortrisiko.“ Steigende Sozialbeiträge verteuerten den Faktor Arbeit, was die „ohnedies angeschlagene Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland produzierter Güter und Dienstleistungen“ gefährde. Dies bremse Investitionen und bringe Arbeitsplätze in Gefahr.
Diese Analyse ist ökonomisch sicher zutreffend – aber dennoch unzureichend. Denn Rentenpolitik wird nicht nur von Simulationsrechnungen bestimmt. Rentenpolitik ist stets Verteilungspolitik – ein Bereich, in dem auf Effizienzfragen spezialisierte Ökonomen keine besondere Kompetenz haben.
So gibt es weder einen optimalen Beitragssatz noch ein optimales Rentenniveau, ein optimales Renteneintrittsalter oder einen optimalen Bundeszuschuss. Bei der Justierung dieser Stellschrauben geht es stets darum, die finanziellen Lasten der Alterung „fair“ zu verteilen – wobei es im Auge des jeweiligen Betrachters liegt, was unter „fair“ zu verstehen ist.
Laut Mikrozensus des Statistischen Bundesamts wird etwa die Hälfte der Wahlberechtigten bei der anstehenden Bundestagswahl 55 Jahre oder älter sein. Andere Schätzungen gehen gar von einem merklich höheren Medianalter der tatsächlich Wählenden aus. Eine Politik, die den Interessen der Rentner zuwiderläuft, wäre daher für die großen Parteien mit unkalkulierbaren Risiken verbunden.
Ökonomisch naheliegende Maßnahmen wie eine regelgebundene, etwa an der Zunahme der Lebenserwartung orientierte Verlängerung der Lebensarbeitszeit sind zweifellos plausibel – aber dennoch nicht leichter durchzusetzen. Hinzu kommt, dass die Wirkung einer Verlängerung des Arbeitslebens für die Finanzen der Rentenkasse zunächst irrelevant wäre, da sie frühestens 2032 einsetzen könnte, wenn die Rente mit 67 vollends umgesetzt ist.

Denkbar wäre, den Beitragssatz zu stabilisieren, indem ein Prozentpunkt des Aufkommens der Umsatzsteuer als weiterer Bundeszuschuss in die Rentenversicherung geleitet würde. Gegenwärtig wären dies 16 Milliarden Euro im Jahr. Zum einen ist der Regelsatz dieser Steuer in Deutschland im internationalen Vergleich mit 19 Prozent recht niedrig. Zum anderen würden auch Nicht-Beitragszahler wie Unternehmer, Selbstständige, Beamte, Privatiers und vor allem die wachsende Zahl von Rentenempfängern beteiligt.
Unterstellt man, dass Rentner eine höhere Konsumquote als Erwerbstätige haben, da sie außer Schenkung und Vererbung kein Sparmotiv haben, so würden sie sogar überproportional an den finanziellen Lasten der Alterung beteiligt.
Allerdings gilt es hierbei zu beachten, dass Rentenempfänger je nach persönlicher Situation oft einen überdurchschnittlich hohen Anteil ihres Budgets für Gesundheitsleistungen, Lebensmittel, das Wohnen oder Auslandsreisen ausgeben. In diesem Fall würde ein größerer Teil ihres Konsumbudgets nicht oder nur gering mit Umsatzsteuer belastet.
In den vergangenen Dekaden war ein bemerkenswerter Anstieg der Erwerbsbeteiligung der 60- bis 64-Jährigen zu beobachten. Dies begründet die Hoffnung, dass hier noch Potenzial für Beschäftigungsausweitungen jenseits der Regelaltersgrenze liegt. Würde länger gearbeitet, fielen bei gegebener Altersgrenze weniger Abschläge oder höhere Zuschläge an.
Für die Rentenkasse wäre dies daher weitgehend finanzierungsneutral. Für die deutsche Volkswirtschaft, das Steueraufkommen und die Beitragseinnahmen in den übrigen Sozialversicherungen wären damit allerdings merkliche positive Einnahmeeffekte verbunden.





Es besteht kein Zweifel, dass unsere umlagefinanzierte Rentenversicherung in den kommenden 15 Jahren mit gravierenden, aber seit vielen Jahren prognostizierten Problemen konfrontiert sein wird. Um die Legitimation dieses Generationenvertrags zu stärken, sollte die Politik den Fokus ihrer Reformbemühungen darauf richten, das System merklich armutsfester zu machen.
Allgemeine Leistungsausweitungen sind sehr teuer und verschärfen die demografischen Probleme weiter. Katastrophenszenarien für unser Rentensystem sind dennoch fehl am Platz. Denn Umlagesysteme haben sich als stabiler erwiesen, als vielfach gedacht wird.






