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Der ChefökonomAuch mit 2,2 Prozent ist das Inflations-Problem nicht gelöst

Rückläufige Inflationsraten können zu einer falschen Sichtweise verleiten. Denn Einkommen und Vermögen verlieren weiter an Wert – und die Preise dürften schon bald wieder schneller steigen.Bert Rürup 10.05.2024 - 10:41 Uhr
Einkaufswagen: Vieles spricht dafür, dass die Inflation in den kommenden Monaten wieder anziehen wird. Foto: IMAGO/Kirchner-Media

In Deutschland lag die am Verbraucherpreisindex gemessene Inflation im April bei 2,2 Prozent und damit nahe am Ziel der Europäischen Zentralbank von mittelfristig zwei Prozent. Im für die EZB-Politik maßgeblichen Euro-Raum lag die Teuerungsrate mit 2,4 Prozent nur unwesentlich darüber. Auf den ersten Blick könnte man geneigt sein, das Problem der Geldentwertung als nahezu gelöst anzusehen.

Dieser Blick trügt jedoch. Viel spricht dafür, dass die Inflation in den kommenden Monaten wieder anziehen wird; die Bundesbank rechnet für Mai mit einem Preisniveauanstieg von um die drei Prozent. Insbesondere den teils dynamisch wachsenden Dienstleistern gelingt es, die steigenden Lohnkosten an ihre Kunden weiterzugeben.

So verteuerten sich Dienstleistungen im April auf Jahressicht um 3,4 Prozent, Waren dagegen nur um 1,2 Prozent. Mittel- und langfristig dürften der mit dem Alterungsschub der Bevölkerung einhergehende Arbeitskräftemangel sowie die hohen Kosten der Energiewende für zusätzlichen Preisauftrieb sorgen.

Ein steigendes Preisniveau macht es freilich schwieriger, die mit den Teuerungsschüben der zurückliegenden Jahre verbundenen markanten Wohlstandsverluste aufzuholen. Nach den jüngsten verfügbaren Daten lag das allgemeine Preisniveau im März in Deutschland 18,6 Prozent höher als Ende 2019, einer Zeit, in der die Mehrheit der Bevölkerung „Corona“ mit einer Biermarke assoziierte und die Ukraine sehr weit weg schien.

Nun sind mittlerweile in einigen Branchen, nicht zuletzt im öffentlichen Dienst und in staatsnahen Bereichen wie Deutsche Post und Bahn, die Löhne deutlich gestiegen. Beschäftigte in anderen Wirtschaftszweigen gingen dagegen vielfach nahezu leer aus oder mussten sich mit steuer- und abgabenfreien Einmalzahlungen zufriedengeben.

Senkung der Mehrwertsteuer würde das Preisniveau nachhaltig drücken

Die Folge: Im vierten Quartal 2023 lagen die gesamtwirtschaftlichen Reallöhne unter denen des Schlussquartals von 2015. Den Beschäftigten fehlen also 32(!) Quartale Wohlstandszuwächse.

Da verwundert es nicht, dass die Konsumausgaben der privaten Haushalte im Schlussquartal 2023 preisbereinigt nicht höher waren als Ende 2017. Und für das erste Quartal 2024 meldete das Statistische Bundesamt, dass nach ersten Schätzungen der private Konsum weiter gesunken sei.

Ungeachtet dessen verbreiten die Ökonomen der Bundesregierung Erwartungen auf einen bevorstehenden Konsumschub. So schrieb das Bundeswirtschaftsministerium in seiner Mitteilung zur Frühjahrsprojektion der Regierung: „Wesentliche Wachstumsimpulse dürften im weiteren Jahresverlauf vor allem von dem privaten Verbrauch ausgehen: Im Zuge deutlich höherer Reallöhne in Verbindung mit einer insgesamt robusten Beschäftigungsentwicklung dürften die inflationsbedingten Kaufkraftverluste der privaten Haushalte zunehmend überwunden werden und zu einer Belebung des privaten Konsums führen.“

Nun hätte es die Bundesregierung in der Hand, die Kaufkraftverluste auszugleichen. Eine dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuer würde das Preisniveau nachhaltig drücken. Angesichts der angespannten Etatlage ist dies jedoch eine hypothetische Option. Denn eine Senkung des Regelsatzes um einen Prozentpunkt würde beim Staat zu Einnahmenausfällen von rund 16 Milliarden Euro pro Jahr führen, eine Senkung des reduzierten Satzes wäre mit Einnahmeverlusten von 3,5 Milliarden Euro verbunden.

HDE-Konsumbarometer

Zuversicht steigt – Kommt der Aufschwung vielleicht doch?

Anlässlich des „Tags der Arbeit“ forderten die Bundestagsfraktion der Grünen, die Partei „Die Linke“ sowie die Gewerkschaft „Verdi“ eine Anhebung des Mindestlohns von derzeit 12,41 Euro auf 14 oder besser 15 Euro. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hatte sich ebenfalls für eine deutliche Erhöhung ausgesprochen.

Steigende Löhne gehen mit sinkenden Gewinneinkommen einher

Für Geringverdiener könnten so die jüngsten Preisniveauerhöhungen qua Gesetz ausgeglichen werden, so offenbar die Vorstellung Klingbeils sowie des auf Vorschlag der Gewerkschaften berufenen Wirtschaftsweisen Achim Truger. Nach dessen Ansicht gebe der für 2025 vorgesehene Mindestlohn von 12,82 Euro nach der hohen Geldentwertung der letzten Zeit „keinen Mindestschutz für die Beschäftigten mehr“. Dazu müsste die gesetzliche Lohnuntergrenze „auf mindestens 14 Euro steigen“.

Kommentar – Der Chefökonom

Neuer Milliarden-Spielraum und ein Investitionsturbo: Für Vorschläge gegen die Wachstums-Misere

Bei den Forderungen nach höheren Löhnen wird freilich übersehen, dass in einer stagnierenden Volkswirtschaft steigende Löhne gesamtwirtschaftlich letztlich ein Nullsummenspiel sind, da sie mit sinkenden Gewinneinkommen einhergehen.

Damit stellt sich die Frage, was die Bundesregierung tun kann. Als Erstes gilt es anzuerkennen, dass Deutschlands Bevölkerung in den vergangenen Jahren ärmer geworden ist. Die Preise für importierte Energie in Form von Öl, Gas und Kohle sind gestiegen – mit der Folge, dass Einkommen ins Ausland geflossen ist und wohl weiterhin fließen wird. Fracking-Gas ist nun einmal teurer als konventionelles Erdgas.

Diese Einkommensverluste können nur durch reales Wirtschaftswachstum kompensiert werden – und daran mangelt es der deutschen Volkswirtschaft seit vier Jahren. Wachstum kann durch Produktivitätszuwächse sowie durch ein höheres Angebot von Arbeit und Kapital generiert und stimuliert werden.

Fakt ist allerdings, dass im zurückliegenden Jahr die Produktivität um 0,7 Prozent je Arbeitsstunde und um 0,9 Prozent je Erwerbstätigen zurückgegangen ist. Zudem lag das Arbeitsvolumen laut IAB-Berechnungen 2023 unter dem des Vor-Corona-Jahrs 2019: Das von einer um 1,5 Prozent höheren Anzahl von Erwerbstätigen geleistete Arbeitsvolumen lag um 0,8 Prozent unter dem des Jahres 2019.

Ampelregierung leugnet die Wachstumsschwäche nicht mehr

Ähnliches gilt für das Angebot von Kapital. Erweiterungsinvestitionen tätigen deutsche Unternehmen vorrangig im Ausland, und einige energieintensive Industrien erwägen die Verlagerung bestehender Produktionsanlagen. Zudem schafft der Ersatz konventionell betriebener Anlagen durch mit erneuerbarer Energie betriebenen keine zusätzlichen Produktionskapazitäten und ist daher nicht mit Wachstumsimpulsen verbunden.

Laut einer EY-Studie haben internationale Investoren ihr Deutschland-Engagement weiter zurückzufahren. Im vergangenen Jahr kündigten ausländische Unternehmen hierzulande 733 Investitionsprojekte an – zwölf Prozent weniger als im Vorjahr. Dies war nicht nur der sechste Rückgang in Folge, sondern auch der niedrigste Stand seit 2013.

Standort-Debatte

In Deutschland geht die Zahl ausländischer Investitionsprojekte stark zurück – ein Nachbarland prescht voran

Deutschland hat durch die Multikrisen nicht nur Wohlstand eingebüßt, auch das Wachstumspotenzial ist merklich gesunken. So geht der Sachverständigenrat nur noch von jährlichen Zuwächsen von 0,4 Prozent bis zum Ende dieser Dekade aus – weniger als ein Drittel im Vergleich zur vergangenen Dekade.

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Ein Hoffnungsschimmer ist, dass die Ampelregierung die persistente Wachstumsschwäche nicht mehr leugnet. Ein überfälliges angebotsorientiertes Reformprogramm würde allerdings zunächst beachtliche Summen erfordern, bevor die Steuereinnahmen über höheres Wachstum wieder kräftiger zulegen. Ob die Ampelkoalition dafür noch die Kraft besitzt, ist fraglich.

Der Volkswirtschaft drohen daher zwei weitere gesamtwirtschaftlich verlorene Jahre.

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