Editorial: Deutschland braucht statt Vollkasko-Politik eine echte Fortschrittskoalition

Sebastian Matthes ist Chefredakteur des Handelsblatts.
Es sieht düster aus für die nächsten Monate. Die Zinswende verursacht Schockwellen an den Finanzmärkten. Mit den steigenden Anleiherenditen in Südeuropa kehrt die Angst vor einer neuen Euro-Krise zurück. Und gleichzeitig leiden deutsche Unternehmen wie Privathaushalte unter den hohen Energiepreisen, die – das vergessen gerade viele – schon vor dem Ukrainekrieg höher waren als im Rest Europas. Und auch die Preise für Lebensmittel, Vorprodukte und Rohstoffe erreichen immer neue Rekordmarken.
Zunehmende Wachstumsrisiken bei anhaltend hoher Inflation sind ein gefährliches Gemisch. Das Handelsblatt Research Institute (HRI) rechnet für dieses Jahr nur noch mit einem Wirtschaftswachstum von rund 1,6 Prozent in Deutschland – bei einer durchschnittlichen Inflation von 6,9 Prozent. 2023 werde die Teuerung immer noch bei 3,2 Prozent liegen. „Deutschland muss sich auf magere Jahre einstellen“, sagt HRI-Präsident Bert Rürup.
Und so geschieht jetzt, was in solchen Situationen in Deutschland immer passiert: Es werden Rettungsprogramme aufgelegt und Entlastungspakete geschnürt. Aktuell soll der Tankrabatt die Bürger entlasten. Vieles ist ökonomisch nicht durchdacht. Der Tankrabatt bleibt womöglich zu guten Teilen bei den Ölkonzernen hängen. Sei es drum – sobald sich die Stimmung in Deutschland eintrübt, bricht zuverlässig das Vollkasko-Fieber aus. Über Jahre hat sich das Land daran gewöhnt, dass die Bundesregierung jedes noch so kleine Wehwehchen umgehend mit Milliardensubventionen bepudert.





