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EditorialDer Dauerstreit zwischen Wirtschaft und Politik kostet Wachstum

Unternehmer haben nicht immer recht. Politiker nicht immer unrecht: Beherzigen wir das nicht, zerbröselt die Mitte endgültig – und das hat messbare ökonomische Folgen.Sven Prange 23.12.2025 - 10:10 Uhr Artikel anhören
Handelsblatt-Wochenendchef Sven Prange: Mehr Zusammenhalt wagen. Foto: Max Brunnert

Staaten und Unternehmen haben eine Gemeinsamkeit, die in Wirtschaftskreisen meist unterschätzt wird: Je größer und erfolgreicher sie werden, desto mehr Bürokratie setzen sie an. Bürokratie, die vor allem der Erhaltung des Status quo dient.

Das ist insofern ein existenzielles Problem, weil es blind für neue Wettbewerber und daraus resultierenden Veränderungsbedarf macht – und somit Staaten wie Unternehmen gleichermaßen schadet. Die Beispiele, die genau an dieser Herausforderung scheiterten, sind Legion. Das reicht vom Römischen Reich über die Republik Venedig bis hin zu den amerikanischen Öl-Kartellen der Früh-Industrialisierung oder Nokia in der Neuzeit. Und vielleicht reiht sich das Konzept des Exportweltmeister- und Hidden-Champions-Standorts Deutschland bald in diese Reihe ein – was noch zu verhindern wäre.

Das Problem ist deswegen so tückisch, weil es allenfalls von außen, fast nie aber von innen erkannt wird. Die Innensitzenden zeigen entsprechend bei der Suche nach Lösungen auf die Außenstehenden und andersherum.

Damit wären wir genau bei der Situation, in der Deutschland nach einem Jahrzehnt voller Exportrekorde, überstandener Krisen und wachsenden Wohlstands heute steht: Auf der einen Seite ein aufgeblähter Staat, nach Jahren des Erfolgs gefangen in der eigenen Bürokratie. Auf der anderen Seite eine Wirtschaft, die auf dem Gipfel ihres globalen Erfolgs womöglich übersehen hat, dass neue Konkurrenz herangewachsen ist – und diese Herausforderung nicht mit der nötigen Beweglichkeit annimmt. Und keine der beiden Seiten, Staat und Wirtschaft, sieht das Problem bei sich.

So endet dieses Jahr mit einer kaum je gekannten Entfremdung zwischen Politik und Wirtschaft. Gibt es einen Wunsch für die Zeit, in der alle Entscheidungstragenden aus dem Weihnachtsurlaub zurück sind, dann diesen: dass der Wert, den der Streit und das Aushandeln unterschiedlicher Positionen für eine Demokratie haben, nicht weiter mit Polarisierung verwechselt wird.

Wie Politik und Wirtschaft übereinander schimpfen

Das Gegenteil aber ist auf beiden Seiten in den vergangenen Wochen passiert. Da ist eine Bundesregierung, deren Arbeitsministerin die Arbeitgeber als Gegner in „Maßanzügen“ charakterisiert – und bisher nicht sehr viel Verständnis für die dramatische Lage in Teilen der Wirtschaft aufbringt. Sich stattdessen mit ihrem Mantra, man dürfe „den Standort nicht schlechtreden“, ein ganz eigenes Maß der Ignoranz angeeignet hat.

Auf der anderen Seite stehen Wirtschaftsvertreter, deren Politikverachtung ein bedenkliches Maß erreicht. Viele Unternehmer sind – nachvollziehbarerweise – offenbar so von der Verzweiflung getrieben, dass sie jegliche Verklausulierung ihrer Kritik eingestellt haben und mitunter den Eindruck erwecken, man lebe und arbeite in einem kleptokratisch geführten Schwellenland. Viele Manager von Großkonzernen lästern im Schutz des Hintergrunds und sorgen dann dafür, dass ihre fatalistischen Bestandsaufnahmen den Weg in die Öffentlichkeit finden. Beides ist gleichermaßen schädlich –  weil es einen Gedanken gar nicht mehr zulässt: Dass auch Unternehmer mal unrecht und Politiker mal recht haben könnten.

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So landet man in einer Situation entgrenzter Kommunikation auf beiden Seiten: Die Wirtschaft schimpft über die Politik, die Politik lästert über die Wirtschaft.

Das aber treibt eine Polarisierung voran, die eigentlich eher eingedämmt gehörte. Vorurteile und Vorbehalte gegen das Funktionieren des demokratischen Staates wabern ohnehin schon mehr als erträglich durch den öffentlichen Raum – und stärken die Fliehkräfte dieser Gesellschaft. Die gesellschaftliche und politische Mitte ist angegriffen genug. Das Letzte, was sie braucht, ist eine Wirtschaft, die noch zusätzlich an ihr zerrt.

Warum ständiger Streit den Wohlstand schmälert

Das sollte auch im Interesse der Unternehmen selbst sein: Je gespaltener eine Gesellschaft ist, desto weniger stark wächst sie. Das hat gerade erst der Ökonom Nils Goldschmidt im Auftrag des Roman Herzog Instituts herausgefunden.

Ökonom

„Wer hat schon wirklich einen Vorteil davon, wenn er vom Staat 15 Euro mehr bekommt?“

Für die Studie haben die Forscher die Daten aus 171 Ländern ausgewertet. Dabei verglichen sie Faktoren des gesellschaftlichen Zusammenhalts – von Konflikten zwischen Gruppen bis zur wahrgenommenen Legitimität des Staates – mit der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts. Und siehe da: Je mehr ein Land in zwei Lager zerfällt, desto schneller geht es bergab.

Es gibt ja Ansätze, auf die sich aufbauen ließe. Die Initiative der Großkonzerne aus dem Sommer, die hunderte Milliarden Euro neuer Investitionen gegen verbindliche Reformen versprach, war eine Idee, die zu schnell verhallte. Auch die beiden Schuldenpakete für Infrastruktur und Verteidigung ermöglichen noch immer einen konzertierten Schritt in Richtung eines gemeinsamen Zukunftsbildes.

Konzernchefs mit Investitionsplänen im Kanzleramt: Als die Zeichen noch auf Zuversicht standen. Foto: REUTERS

Die Kommissionen zur Rente und zur Zukunft des Sozialstaats könnten zwei besonders aufreibende Debatten wieder in den Bereich des Konstruktiven führen – wenn sie denn außer Papier auch Veränderung erzeugen.

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Auf ein Jahr der Polarisierung braucht es nun ein Jahr des Zuhörens, der Zuversicht und des Zusammenhalts. Eine der letzten Ressourcen, die die politische Mitte noch hat, ist die Kraft der Kooperation. Und es ist politisch wie ökonomisch sinnvoll, sie zu nutzen.

Denn es ist ja so: Staaten und Unternehmen haben Gemeinsamkeiten darin, wie sie sich zu immer unbeweglicheren Bürokratien aufgebläht haben. Es gäbe aber auch gemeinsame Wege, sich aus dieser Falle zu retten. Es wäre gut, sich darauf zu besinnen. Gegenseitiges Verächtlichmachen jedenfalls gehört nicht zu diesen Gemeinsamkeiten.

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