Gen Z: Sigmar Gabriels Vorwürfe sagen viel über seine Generation aus


Pünktlich zu Beginn des Sommerlochs sind mal wieder wir jungen Leute schuld an allem. Zumindest daran, dass die Konjunktur stagniert, Unternehmen keine Fachkräfte mehr finden und überhaupt Deutschland im Abstieg begriffen ist. So klingt es beim ehemaligen Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD). Er verband jüngst Generationen-Bashing mit sozialistischer Ethik und schrieb auf der Plattform X:
„Oben wie unten: leisten wollen immer weniger etwas. Nur über die oben lässt sich schwerer herziehen.“ Der 64-Jährige führte aus: „Wer wohlhabend ist, macht auf Kosten von Mama und Papa nach der Schule erst mal ein ‚Sabbatical‛ und danach eine Vier-Tage-Woche“.
Dahinter steckt kein Karrieretipp, sondern Gabriels Version von „O tempora, o mores!“ – seht her, wie Zeiten und Sitten verrohen.
Doch Gabriels Worte sind ein Eingeständnis, die Zeiten nicht mehr zu verstehen und die jungen Leute erst recht nicht. An dieser Stelle daher ein kurzer Erklärungsversuch. Nicht alle jungen Leute sind faul. Nicht alle jungen Leute sind fleißig. Sie sind aber, wie alle Menschen, ein Produkt ihrer Umwelt und der Strukturen, in die sie hineinwachsen.
Ein gesundes Maß an Skepsis
Es sind Strukturen, die Menschen wie Sigmar Gabriel mitgeschaffen haben. Strukturen, in denen er selbst für die paar Sitzungen seines Aufsichtsratsmandats mehr Vergütung erhält als die Vollzeit arbeitende Pflegekraft auf der Neugeborenenstation. Unter jungen Menschen hat sich eine große Skepsis gegenüber diesem System breitgemacht.
Viertagewoche oder Sabbatical sind auch ein Versuch, sich von diesem System nicht vereinnahmen zu lassen. Wer sich gerade nicht in Lohnarbeit befindet, liegt nicht unbedingt faul in der Hängematte. Wir nehmen uns die Zeit zu hinterfragen, welchen Sinn die Arbeit hat, die wir verrichten sollen, und nehmen dafür Lohneinbußen in Kauf.
Weniger arbeiten zu wollen mag auf den ersten Blick egoistisch erscheinen. Wir könnten aber auch der Generation Überstunde vorwerfen, ihr eigenes materielles Wohlergehen über das des Planeten gestellt zu haben. Blind gearbeitet zu haben, ohne sich zu fragen, welchen Mehrwert diese Arbeit der Gesellschaft eigentlich genau bringt.
All das könnte ich Gabriel und den Babyboomern vorwerfen. Tue ich aber nicht. Es läge mir fern, Lebensentscheidungen anderer Menschen zu kritisieren. Trotzdem an dieser Stelle noch ein gut gemeinter Ratschlag. Lehrkräfte werden überall gebraucht. Sigmar Gabriel ist gelernter Gymnasiallehrer. Vielleicht könnte er seine Aufsichtsratsmandate niederlegen und sich stattdessen dem Schuldienst zur Verfügung stellen. Das wäre mal eine Leistung.




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Erstpublikation: 22.07.2024, 17:18 Uhr.





