Kommentar Bidens kraftvoller Start ins Amt nährt die Illusion, dass nun alles möglich ist

Kurz nach seinem Amtsantritt erließ der neue US-Präsident Dutzende Dekrete.
Joe Biden sitzt noch keine ganze Woche im Weißen Haus. Doch im Kampf gegen die Pandemie hat er schon mehr in Bewegung gebracht als sein Vorgänger in Monaten. Bidens Flut von Dekreten unterstützt endlich jene Menschen, die Hilfe aktuell am nötigsten haben: die 50 Millionen US-Bürger, die am Essen sparen müssen, und die zehn Millionen Menschen, für die es keine Jobs gibt.
Biden übertreibt nicht, wenn er von einer „Herausforderung wie im Krieg“ spricht. Er hat den schwächsten Arbeitsmarkt in der modernen Geschichte der USA geerbt. Noch kann der Start der Impfungen die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie nicht abfedern.
Die Ausnahmesituation sorgt für einen seltenen Konsens unter Ökonomen, von denen die meisten kurzfristige Staatsausgaben als erforderlich ansehen. Biden hat sich diesem Kurs konsequent verschrieben. Eigentlich ist er ein moderater Demokrat – im Senat kämpfte er lange an der Seite der Republikaner dafür, die Staatsschulden niedrig zu halten.
Dass er jetzt für Ausgaben kämpft, die Barack Obamas Stimulus in der Bankenkrise deutlich übertreffen, zeigt: Er will teure Investitionen nicht aus ideologischen, sondern aus pragmatischen Gründen.
Doch kann er einfach den Geldhahn aufdrehen, und alles wird gut? Mit Sicherheit nicht. Bidens ambitionierter Start weckt die Illusion, dass gerade alles möglich ist. Aber das stimmt nicht. Mittelfristig wird Biden auf Probleme stoßen, und die haben vor allem mit der zerrissenen politischen Landschaft in den USA zu tun.
Bidens frühe Dekrete lassen sich weitgehend mit bereits bewilligten oder noch nicht abgerufenen Mitteln finanzieren. Doch für den großen Wurf im Kampf gegen Covid braucht der Präsident frisches Geld. Mindestens 1,9 Billionen US-Dollar soll der Kongress freigeben.
Biden wird Abstriche machen müssen
In einem optimistischen Szenario kann Biden das Paket mit der sehr knappen demokratischen Mehrheit durch den Kongress bekommen, auch ohne die Republikaner. Doch der Eindruck, dass Biden danach durchregieren könnte, ist falsch.
Viele größere Reformen, die Bidens Amtszeit definieren sollen, benötigen 60 Stimmen im Kongress. Das bedeutet, dass Biden Abstriche bei Infrastruktur, grüner Energie, Gesundheitsversorgung oder Mindestlohn machen muss. Vor allem, wenn er einen Teil davon mit höheren Steuern finanzieren will.
Biden will ein Präsident der Visionen und des Weitblicks sein, daran wird er sich messen lassen müssen. Die großen Herausforderungen der Zukunft sind nicht nur die Pandemie, sondern auch der Klimawandel, die schrumpfende Produktion, der Wettbewerb mit China.
Will Biden all das anpacken, dürfte er erheblich größere Investitionen brauchen. Es könnte sein, dass das Konjunkturpaket sein einziger großer Wurf wird.
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