Kommentar: Das Dauerduell von Biden und Trump provoziert Wählerfrust


Lange Zeit bezeichnete Joe Biden den Mann, den er 2020 bei den US-Präsidentschaftswahlen besiegt hatte, nur als „the other guy“ – „diesen anderen Typen“. Fast wirkte es so, als wollte er dessen Bedeutung herunterspielen – in der Hoffnung, Donald Trump werde irrelevanter, wenn man seinen Namen nicht in den Mund nimmt.
Doch spätestens die republikanischen Vorwahlen in New Hampshire haben gezeigt: Bidens Strategie ist nicht aufgegangen, denn sehr wahrscheinlich wird er 2024 erneut gegen Trump antreten müssen. Eine Präsidentschaftskandidatur Trumps ist so gut wie besiegelt, auch wenn seine letzte verbliebene innerparteiliche Rivalin Nikki Haley einen Achtungserfolg vorweisen konnte.
Für die US-Demokratie ist das erneute Duell zwischen dem 81-jährigen Biden und dem 77-jährigen Trump ein gewaltiger Rückschritt. Denn Umfragen zufolge wollen mehr als zwei Drittel der Amerikaner keinen der beiden Männer noch einmal im Oval Office sehen. Trotzdem bekommen sie zum zweiten Mal in Folge diese ungeliebte Kombination auf dem Wahlzettel serviert. Der Wille des Volkes scheint weniger gewichtig als Trumps Revanchegelüste und Bidens Scheu vor dem Ruhestand.
Rund neun Monate sind es noch bis zu den Präsidentschaftswahlen im November. Neun Monate, in denen die Kandidaten des Zweiparteiensystems feststehen, sollte nicht noch etwas Unvorhergesehenes passieren. Man kann sich ausrechnen, wie ermüdend diese Aussicht auf die 170 Millionen Wahlberechtigten wirkt. Das ohnehin angeschlagene Vertrauen in die Politik dürfte noch weiter absacken.
Zwar gibt es in der jüngeren Geschichte Beispiele dafür, dass sich die Frage der Spitzenkandidatur ebenso früh erledigt hatte. Der Demokrat John Kerry etwa sicherte sich 2004 seine Kandidatur ebenfalls nach nur zwei Vorwahlen, ähnlich wie Trump jetzt bei den Republikanern. Doch der Unterschied ist, dass Trump spätestens seit 2015, als er seine erste Präsidentschaftskampagne startete, in Dauerschleife sendet. Für seine Fans ist er eine Kultfigur, sie können nicht genug von ihm bekommen. Aber die 65 Prozent der US-Bürger, die Trump ablehnen oder unentschieden sind, sind schon lange von ihm übersättigt oder frustriert.
Das „Augen zu und durch“-Prinzip
Biden wiederum hat den Wettbewerb auf demokratischer Seite ausgehebelt und seine Partei in eine ausweglose Situation manövriert. Zwar ist es rein strategisch nachvollziehbar, dass er sich nicht freiwillig nach einer Amtszeit zurückziehen wollte. Der sogenannte „Incumbent“-Faktor, der Amtsinhaber-Bonus, ist bei Präsidentschaftswahlen nicht zu unterschätzen. Massenpsychologisch tendieren Menschen dazu, am Wahltag für den bereits amtierenden Präsidenten zu stimmen, auch wenn die Zuneigung eher lauwarm ist.
Doch gleichzeitig ist Bidens Kandidatur die wohl riskanteste, die die Amerikaner je erlebt haben. Sie folgt dem „Augen zu und durch“-Prinzip: Jeder Versprecher, jeder Stolperer, jede kurzfristig abgesagte Veranstaltung könnte die Sorge verstärken, dass Biden zu alt sei, um eine zweite Amtszeit absolvieren zu können. Trump ist zwar nur vier Jahre jünger, wirkt aber – das muss man ihm lassen – bei Auftritten deutlich kraftvoller.
Anstatt rechtzeitig vorzusorgen, hat Biden die Möglichkeit, eine jüngere Nachfolge aufzubauen, im Keim erstickt, obwohl es genügend regierungserfahrene Alternativen gegeben hätte. Inzwischen haben die Demokraten keine andere Wahl mehr, als Biden unisono zu unterstützen, denn ein Zerlegungskampf würde nur die Konkurrenz stärken.
Oberflächlich betrachtet ist die US-Demokratie noch ziemlich lebendig: Das Spendenaufkommen ist auf dem Höchststand, die Vorwahl in New Hampshire brach Beteiligungsrekorde, Wahlkampfveranstaltungen sind fast immer gut besucht – was auch daran liegt, dass bei US-Politikern selbst ein „Meet and Greet“ in einem Baumarkt so unterhaltend ist wie eine Samstagabend-Quizshow.
Momentum für Drittparteien
Und doch werden die Schattenseiten des Zweiparteiensystems entblößt, wenn die Politik dem Volk zwei ungewollte Kandidaten aufzwingt. Weder Trump noch Biden dürften 2024 Euphorie wecken, und das, obwohl ihre Kampagnen so viele Millionen wie noch nie in diesen Wahlkampf pumpen werden. Zugespitzt ausgedrückt steht einer von beiden mit einem halben Bein im Gefängnis – und beim anderen kann man froh sein, solange er überhaupt noch laufen kann.

Schon wieder Trump gegen Biden? Analyse der US-Vorwahl in New Hampshire
Was macht dieses erdrückende Duell mit einem Land, in dem über 40 Prozent der Menschen als unabhängig registriert sind, die sich schon jetzt weder von Demokraten noch von Republikanern vertreten fühlen? Das Momentum für parteilose Kandidaten und Drittparteien war noch nie so groß. Womöglich werden sie am Wahlabend des 5. November nicht wenige Stimmen jener Menschen auf sich ziehen, die von Biden und Trump genug haben.


Hoffentlich sehen die etablierten Parteien spätestens diese absehbare Entwicklung als Weckruf – getreu dem Motto: Konkurrenz belebt das Geschäft.
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