Kolumne: Es ist nicht der unbeliebte Chef, der am Ende gewinnt

Wir sollten uns den Chefsessel als eine Art Druckpresse vorstellen. Stetig steigender Druck von allen Seiten mit der Gefahr, zwischen Profitsteigerung, Mitarbeiter- und Kundenerwartungen und politischer Wechselhaftigkeit zerrieben zu werden. Man muss willens sein, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Die mittlere Amtszeit in den 500 größten amerikanischen Unternehmern beträgt 4,8 Jahre. Unbeliebtheit gilt als Zeichen von Durchsetzungskraft. Ein Fehlschluss.
Ohne Menschen ist kein Geschäft zu machen. Wer den sogenannten Goodwill verliert, verliert Vertrauen, Mitarbeitende und Aktionäre. Warren Buffett gilt als der beliebteste und erfolgreichste CEO und führt sein Unternehmen seit knapp 60 Jahren. Die Person an der Spitze wirkt stabilisierend, motivierend oder toxisch auf den Aktienkurs und das Gegenüber. Unbeliebtheit ist kein Zeichen fehlender Sympathie, sondern fehlender Akzeptanz, da ist Vorsicht geboten. Das übrigens sind die vier wirkungsvollsten Akzeptanzkiller.
Eigennutz. Wer mit zweierlei Maß misst, verschätzt sich.
Carly Fiorina wurde 1999 CEO von Hewlett-Packard (HP). Die erste Frau an der Spitze eines Fortune-100-Unternehmens – also laut Wirtschaftsmagazin „Fortune“ eines der umsatzstärksten Unternehmen der USA. Während Fiorinas Führung geriet das Unternehmen in ernsthafte Schwierigkeiten.
30.000 Mitarbeitende verloren ihren Job, 80.000 weitere stimmten Gehaltskürzungen zu. Allerdings verdreifachte Fiorina ihr Gehalt in dieser Zeit und schaffte einen Privatjet an. Als das Board sie 2005 zum Rücktritt bewegte, stieg der Aktienkurs knapp sieben Prozent. Ihre unternehmerisch wertvollste Entscheidung wurde es, das Unternehmen zu verlassen.
Aggressivität – sie schlägt zurück
Travis Kalanick sah sich von Feinden umzingelt. Er führte kein Unternehmen, sondern Krieg und plante mit Uber einen globalen Eroberungsfeldzug. Der CEO war nicht nur rücksichts-, sondern auch gnadenlos im Umgang mit Menschen. Er zelebrierte toxische Männlichkeit und Mobbing. Die Bewertung des Unternehmens litt darunter. Vorwürfe sexueller Belästigung, Irreführung von Behörden und live gefilmte Wutanfälle bauten gewaltigen Gegenwind auf und fegten Kalanick 2017 vom Chefsessel und 2019 aus dem Vorstand.
Verantwortungslosigkeit – die Abrechnung kommt zum Schluss. Bei Facebook ist Marc Zuckerberg schon seit Gründung unbeliebt. „Man kann unethisch und trotzdem legal sein; so lebe ich mein Leben“, sei Zuckerbergs Motto, erzählt ein Harvard-Kommilitone. Man ist versucht, es zu glauben. Ein ganzer Film („The Social Network“) handelt davon, wie er seinen Freunden die Geschäftsidee raubt. Business am Rande der Legalität.
Zuckerberg ist ein oft gesehener Gast auf der Anklagebank: von der Verwendung der Facebook-Anmeldedaten für private E-Mails über Hackerangriffe auf Wettbewerber bis zum Zulassen von Falschinformationen bei den US-Wahlen 2016 und 2020. Auf die Auswirkungen seines Handelns reagierte er gleichgültig.
Er beendete das Faktencheck-Programm bei Facebook und erklärte mit breiter Brust: „My apologizing days are over.“ Donald Trump und Co. danken es ihm – die Werbeeinnahmen steigen und der Kurs auch. Doch Verantwortungslosigkeit führt auf lange Sicht bei Mitarbeitenden, Usern und Investoren zu Teilnahmslosigkeit. Unter der Börsenoberfläche schmilzt das Vertrauenskapital.
Selbstgefälligkeit – die Vorstufe zur Selbstüberschätzung und zum Scheitern.
„How big can you dream?“, lautet die Formel, die Investoren anzieht wie das Licht die Motten. Elon Musk ist damit zum reichsten Menschen der Welt geworden. Nun will er regieren. Keine Bühne ist ihm groß genug, also baute er sich selbst eine und kaufte Twitter für 44 Milliarden Dollar. Er nutzt die Plattform und entwickelt eine neue Führungsmethode: „Management by tweeting around“.
Das ist nicht ohne Risiko. 2018 verklagte ihn die US-Börsenaufsicht SEC wegen eines irreführenden Tweets über die Privatisierung von Tesla, was ihn zum Rücktritt als Vorstandsvorsitzenden zwang. CEO blieb er trotzdem. Seine Kunden begannen, aus Selbstschutz Aufkleber auf ihren Autos anzubringen: „I bought this car before Elon went crazy“.





Musk hat Aufmerksamkeit gewonnen und Vertrauen verloren. Ob Probleme mit dem Autopiloten, sinkende Nachfrage, Preissenkungen, Rückrufe von Cybertrucks – Musk hält mit großen Sprüchen dagegen. Der Gewinn ging im ersten Quartal um 71 Prozent zurück.
Unbeliebt zu sein, ist kein Qualitätskriterium. Und Beliebtheit ist nicht zu unterschätzen. Goodwill ist ein Erfolgsfaktor, den Unternehmen miteinrechnen können. Die Person an der Spitze ist dafür der entscheidende Werttreiber.
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