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Kommentar Das E-Scooter-Debakel ist ein Paradebeispiel für die oft verlogene Digital-Denke

Die Elektroroller vermüllen nicht nur deutsche Innenstädte. Es lässt sich auch wunderbar ablesen, wie die Digitalwirtschaft heute tickt.
26.12.2019 - 09:11 Uhr 6 Kommentare
E-Scooter: Ein Paradebeispiel für die oft verlogene Digital-Denke Quelle: dpa
E-Scooter in Halle

Die Share-Mär von den lustigen E-Scootern ist letztlich Silicon Valley in Reinkultur: missionarischer Eifer, gepaart mit einer unangenehmen Radikalität und einer meist infantilen Geschäftsidee.

(Foto: dpa)

Was hat die Innenstädte deutscher Metropolen in diesem Jahr mehr bedroht als Feinstaub, Klimawandel oder islamistischer Terror? Es war der so harmlos daherrollernde E-Scooter. Citys wie Hamburg, Berlin oder München sind mittlerweile komplett vollgemüllt mit dem Elektroschrott.

Krankenhäuser melden Arm- und Kieferbrüche. Kommunen kämpfen darum, die Wildwestmanieren der Betreiber und Konsumenten zu domestizieren. Und Investoren machen sich allmählich Sorgen, wie enthusiastisch da ihre Millionen verbrannt werden.

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Dabei ist die für den Boom notwendige „Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung“ überhaupt erst seit Mitte Juni in Kraft. Und schon jetzt kann man bilanzieren: Unter den vielen fragwürdigen Aktionen von Noch-Verkehrsminister Andreas Scheuer war die Unterstützung dieser Art von Verkehrswende eine der dümmsten. Scheuer wollte auch mal hip sein und disruptiv wie die Nerds der Generation Z.

Das Schlimmste daran: Der von ihm mitbefeuerte Roller-Hype hat noch weit mehr mit der grundlegenden Silicon-Valley-Ideologie gemein als nur die Begeisterung daran, halbgare Ideen, Produkte oder Gesetze auf den Markt zu peitschen. An der E-Scooterei kann man wunderbar ablesen, wie die neue Generation der Digitalwirtschaft heute tickt.

Regel 1 der Macher: Das Einzige, was du brauchst, sind Geld und coole Sprüche. „Change mobility for good“, phraselt etwa der (deutsche) Anbieter Tier, was schon arg an Googles einstiges „Don’t be evil“ erinnert. Die Mobilität hat sich übrigens tatsächlich gewandelt, allerdings nicht wie Tier, Lime, Voi und andere verheißen haben: Zum klassischen Last- und Privatverkehr kamen nicht nur die Auto-Sharing-Dienste dazu, sondern mittlerweile auch noch etliche Leih-Fahrrad-, -Moped- und eben E-Scooter-Anbieter.

Mit Innovationsfreude hat das so viel zu tun wie eine Virusinfektion. Ob der Roller grün, rot oder weiß ist, ist wurst. Es kommt nicht wie früher auf die Cleverness des Produkts an. Es zählt nur eines:

Regel 2: Die Masse macht’s! Gewinnen kann den Kampf um jeden neuen Markt (egal ob Modehandel, Lieferdienst oder eben E-Scooter) heute nur noch, wer alle anderen ganz schnell plattmacht. Die Folge: All die hippen Mobilitätsanbieter sind letztlich Mobilitätsblockierer, weil sie die Straßen eben nur weiter vollstellen. Der Verkauf von Neuwagen ging nicht mal in den Großstädten zurück, das Verkehrsaufkommen hat sich weiter erhöht. Die Akteure schert das nicht. Sie sind die Söldner in den Konsumkriegen 4.0.

Regel 3: Keine Rücksicht nehmen auf Verluste – weder bei den Kunden oder Geldgebern, noch bei Fragen der Nachhaltigkeit oder gar der Arbeitsbedingungen der eigenen Beschäftigten. Ein Heer von scheinselbstständigen Minijobbern rumpelt nun nachts mit Diesellastern durch die Innenstädte, um die Roller aufzuladen. Noch absurder: Kaum einer aus der mittlerweile unüberschaubaren Menge sogenannter „Mobilitätsdienstleister“ wirft bislang Geld ab.

Car2go (Daimler) und DriveNow (BMW) haben deshalb zuletzt fusioniert und gemeinsam gleich ihr Nordamerika-Geschäft gestoppt. Bosch ist gerade dabei, seinen Sharing-Dienst Coup abzuwickeln, mit dem die Stuttgarter auch mal jung sein wollten, aber dann doch nur Geld verloren.

Die schwäbische Sparsamkeit bewahrt Bosch vielleicht vor dem, was anderen Firmen noch bevorsteht in der Hoffnung, in diesen Monopoly-Spielen der eine, letzte Überlebende zu sein, der dann die AGBs neu schreiben darf. Uber hat dieses Jahr in einem Schreiben an die US-Börsenaufsicht erklärt, man werde „womöglich“ nie schwarze Zahlen schreiben, worauf Analysten noch stärkeres Wachstum empfahlen.

So denken sie alle. Sie eint die reine Lehre, dass nur siegt, wer die Plattform beherrscht. Mit den Sharing-Diensten erobert diese Ideologie nun auch noch den öffentlichen Raum und missbraucht ihn zugleich, ohne dass irgendwer Verantwortung für sein Tun oder gar dessen Kollateralschäden übernehmen wollte.

Das war bei sozialen Netzwerken wie Facebook in der Fake-News-Debatte zu beobachten. Das sieht man bei Amazon, wenn es um seine millionenfachen Zwischenhändler und deren Steuerehrlichkeit geht. Und das gilt nun für Lime, Vio und wie die Roller-Revolutionäre sonst noch heißen.

„Wir sind doch nur die Dienstleister“, wird dann gesagt, was bedeutet: Sie wollen nur spielen – und spielend den Rahm abschöpfen. Die Share-Mär von den lustigen E-Scootern ist letztlich Silicon Valley in Reinkultur: missionarischer Eifer, gepaart mit einer unangenehmen Radikalität und einer meist infantilen Geschäftsidee.

Sie haben ja kein neues Krebsmedikament erfunden, sondern beantworten in der Regel Fragen, die wir vorher nicht hatten. Und es war ja nicht so, dass das Leben in unseren Städten stillstand vor dem Roller. Man ging halt mehr zu Fuß oder fuhr Rad. Gesünder und nachhaltiger ist das sowieso. Und man bekommt dabei den Kopf frei, um nachzudenken – über die ganze Verlogenheit hinter all dem pseudophilosophischen Zukunftsgeschrei.

Mehr: Daimler und BMW stutzen ihre Carsharing-Tochter zurück. Der kostenintensive Aufbau von Mietwagenflotten lohnt sich für die Autohersteller nur in wenigen Metropolen.

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6 Kommentare zu "Kommentar: Das E-Scooter-Debakel ist ein Paradebeispiel für die oft verlogene Digital-Denke"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Volle Zustimmung zur Einschätzung des Autors. Aus meiner subjektiven und nicht repräsentativen täglichen Beobachtung in einer 200.000-Einwohner-Stadt: es stehen weit mehr ungenutzte E-Roller herum als verwendet werden. Und die Nutzer sind Studenten, keine Kinder, keine Best-Ager, keine Senioren. Es gibt wohl - wie vom Autor beschrieben - in der Realität schlicht keinen hinreichend großen Markt; auch wenn beim Hypen/Pichten alles so schon vernünftig und innovativ ausgemalt wurde.

  • Man kann dem Kommentator eigentlich nur raten, öfter die Heuteshow zu sehen. Dort wurde in einem Sketch die Frage aufgeworfen, ob sich alle die, die sich jetzt darüber aufregen, dass die E-Scooter die Städte "vermüllen", auch einmal die Frage gestellt haben, wie denn das mit den Autos ist, die da in den Städten herumstehen und weswegen unsere Kinder nicht ungefährdet die Straße überqueren können.

    Ach so, die sind ja für unsere Mobilität SOOOO wichtig. Das kann man natürlich nicht vergleichen!

    Wie viele Roller könnten eigentlich im Weg herumstehen, wenn wir nur ein paar Autos weniger herumstehen hätten. Jedes Auto, das wir uns durch die Bereitschaft der Menschen, neue, umweltfreundlichere Mobilitätsalternativen anzunehmen, um auf ein Auto verzichten zu können, ist ein Gewinn!

    Richtig, ärgerlich ist, dass die Nutzer der Roller die Roller viel zu oft einfach nur im Weg stehen lassen, aber daraus eine derartige Pauschalkritik abzuleiten, deutet auf einen sehr begrenzten Horizont und die fehlende Bereitschaft, sich mit den Herausforderungen unserer Zeit (schon einmal etwas von Klimawandel gehört?) und in unseren Städten auseinanderzusetzen.

    Es lebe das Autofahrer-Deutschland!!

    Das sind die gleichen Menschen, die ein Tempolimit ablehnen, weil es ja nur 1 Prozent zur Schadstoffreduktion beiträgt und die paar Toten weniger auch nicht diese "massive Einschränkung der Rechte des Einzelnen" rechtfertigen. Armes Deutschland!

  • So ist es . Die tolle Sharing-Wirtschaft, die ach so hip digital daherkommt, basiert neben einem relative einfachen Algorithmus vor allem auf dem Umgehen von Gesetzen und Schutzvorschriften, dem Verlagern von Kosten und Risiken auf andere. Die Zustände bei den Auftragnehmern von Uber in Frankfurt, bei dem Scheinselbstständige vor allem aus Osteuropa für teuer Geld Auto und Bett von Firmen übernehmen, um dann auf eigene Rechnung und Risiko gegen diese Kosten anfahren müssen, sprechen Bände . Und auf den Plakate am Flughafen weist Uber am Rande ´daraufhin, dass sie natürlich nur Vermittler sind und für sonst nichts verantwortlich. Es kann nicht seine, dass unter dem Deckmantel der Digitalisierung. für bestimmte Unternehmen die Regeln nicht gelten, weil sie ja ach so innovativ sind Entweder sind sie überflüssig; dann müssen sie für alle abgeschafft werden; oder sie haben einen Sinn; dann gelten sie auch für alle

  • Sehr geehrter Hr. Tuma,

    als langjähriger Handelsblatt-Leser enttäuscht mich Ihr Kommentar aus drei Gründen:

    EMOTIONALISIERENDE POLEMIK:
    Ich denke nicht, dass es in der Debatte um sinnvolle Mobilitätsformen hilfreich ist, inhaltlich willkürliche, jedoch stark emotionalisierende Vergleiche (z.B. Feinstaub, Klimawandel, Terror) oder ebenso unpassende wie aufpeitschende Vokabeln (z.B. Elektroschrott, Söldner, Verlogenheit, Zukunftsgeschrei) zu verwenden.

    OBERFLÄCHLICHE ARGUMENTATION:
    Zudem habe ich als zahlender Leser den Anspruch, dass Thesen ausformuliert und mit Fakten gestützt werden. Es bringt mir nichts zu lesen, dass „Krankenhäuser Arm- und Kieferbrüche melden“. Ich wünsche mir a) zu verstehen, was genau Ihre These ist (z.B. „e-Scooter sind unsicherer als alle bisherigen innerstädtischen Fortbewegungsmittel“) und b) auf welche Fakten Sie diese Stützen (z.B. pro gefahrenem KM liegt die Anzahl der durchschn. Unfälle bei e-Scootern XY Prozent über der Anzahl bei Fahrrädern).

    GROBE VERALLGEMEINERUNGEN:
    Und wie können Sie von „der Digitalwirtschaft“ sprechen? Nur weil viele Prozesse der von Ihnen genannten Unternehmen digital ablaufen und die Pioniere aus den USA stammen (übrigens nicht nur aus dem Silicon Valley), haben die Geschäftsmodelle/-Praktiken von Amazon, Facebook oder Lime im Kern nur wenig gemeinsam. Und wenn die Gemeinsamkeit das Streben nach Marktdominanz sein soll, können wir allgemein von „der Wirtschaft“ sprechen. Aber das möchte auch ich nicht ernsthaft vorschlagen.

    Ich verstehe, dass der „Kommentar“ Ihre eigene Meinung und nicht die des gesamten Verlages zum Ausdruck bringt. Dennoch würde ich Sie bitten, sich Ihrer Verantwortung bewusst zu sein und uns, Ihren Lesern, zu helfen, uns eine fundierte Meinung zu bilden. Einfache Stimmungsmache gibt es schon genug.

    Mit Dank und Grüßen,
    Robert Ziffling

  • Nicht die Digitalwirtschaft in Gänze. Aber in diesen künstlich und mit großem Hype aufgeblasenen Gründerzentren gedeihen viel zu viele Ideen, die nur entweder Geld-getrieben sind oder eh nur aus vaporware bestehen. Wenn weniger und teureres Geld vorhanden wäre, würde manche Idee nie das Licht der Welt erblicken oder - bessere Alternative - sie würde länger und gründlicher durchdacht und in der Praxis auch erst mal erprobt.

  • Die Hype um E-Bikes zu verlängern ist wohl das Motiv, die günstigeren E-Scooter zu verdammen.
    Schlechte Idee war / ist, dass über ein Mietmodell en masse die E-Scooter in den Städten platziert wurden.
    Für mich scheint ein E-Scooter als Alternative zum E-Bike für kürzere Strecken eine durchaus praxistaugliche gute Lösung zu sein, insbesondere wenn man das Gerät zusammengeklappt im ÖPNV mitnehmen kann.

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