Kommentar – Der Chefökonom: Trumps Druck braucht Gegendruck


Der vor bald zehn Jahren verstorbene US-Mathematiker John Forbes Nash gilt als einer der Erfinder der modernen Spieltheorie – die bekanntlich nichts mit Skat oder Roulette zu tun hat. Vielmehr geht es bei diesem Teilgebiet der mathematischen Theorie darum, Entscheidungssituationen zu analysieren, in denen mehrere Beteiligte interagieren. Ziel ist es, ein rationales Entscheidungsverhalten in Konfliktsituationen zu ermitteln.
Ein Nash-Gleichgewicht beschreibt dabei einen Zustand, in dem die gewählten Strategien von nicht-kooperativen Spielern für alle beteiligten Akteure die besten Antworten sind. In solch einer Situation gibt es für keinen der Beteiligten einen Anreiz, eine gewählte Strategie zu ändern. Das Problem: Würden die Akteure nicht gegeneinander agieren, sondern kooperieren, könnten sich alle Beteiligten besserstellen.
Womit wir bei Donald Trump wären, der seinen rigiden America-first-Kurs als die beste Strategie für sein Land erachtet. Kooperation passt zu dieser Strategie des US-Präsidenten ebenso wenig wie die Rolle des Weltpolizisten, in der sich die USA seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sahen. Unter einem Präsidenten Trump hätte es vermutlich keine Beteiligung der USA am Ersten und Zweiten Weltkrieg gegeben, keinen Vietnam-Krieg und auch keine Welthandelsorganisation.
Die bisherige Sicherheitsgarantie für alle Nato-Mitglieder sieht Trump als US-amerikanische Dienstleistung, für welche die Nutznießer zu zahlen haben. Den internationalen Handel betrachtet er als Nullsummenspiel; Importe sieht er nicht als wohlfahrtssteigernd an, sondern als eine Ursache für gesamtwirtschaftliche Verluste der USA. Sein Ziel: eine weitgehende Autonomie und Autarkie der – gegebenenfalls durch Annexionen erweiterten – Vereinigten Staaten von Amerika.
Nun kann man zwar mit volkswirtschaftlichen Grundkenntnissen viele von Trumps Vorstellungen leicht widerlegen und zeigen, dass sich Handel und kooperatives Verhalten durchaus für beide Seiten auszahlen können. Doch der mächtigste Mann der Welt legt offensichtlich auf Fakten keinen allzu großen Wert. Und wenn man die Entwicklung der US-amerikanischen Börsenkurse als maßgeblichen Indikator nimmt, so kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass das Gros der Finanzmarktinvestoren den von Trump eingeschlagenen Kurs durchaus als erfolgversprechend bewertet – zumindest kurzfristig.
Europa, präziser der EU, bleibt daher kaum etwas anderes übrig, als auf Belehrungen zu verzichten und nach einer klugen Gegenstrategie zum Kurs des amerikanischen Präsidenten zu suchen. Allein darauf zu hoffen, dass die in seiner zweiten Amtszeit zu erwartenden Veränderungen in der wirtschaftlichen und politischen Architektur bald wieder zurückgenommen würden, dürfte gleichermaßen gefährlich wie naiv sein. Mit einer baldigen Wiedergeburt des gegen Ende des letzten Jahrhunderts etablierten Multilateralismus ist nicht zu rechnen.
Ein erster hoffnungsstiftender Schritt war Ursula von der Leyens Grundsatzrede im Rahmen des jüngsten Weltwirtschaftsgipfels in Davos. Die EU-Kommissionspräsidentin hob darin die sehr engen ökonomischen Verflechtungen zwischen der EU und den USA hervor.

Das Handelsvolumen summiere sich auf 1,5 Billionen Euro, was etwa einem Drittel des Welthandels entspreche, die USA lieferten die Hälfte der europäischen Flüssiggasimporte, europäische Unternehmen beschäftigten etwa 3,5 Millionen US-Bürger und zwei Drittel der US-Auslandsinvestitionen würden in Europa getätigt – „für beide Seiten steht viel auf dem Spiel“, betonte von der Leyen zu Recht.
Man muss sich allerdings fragen, wie glaubwürdig diese sicher nicht zufällig wenig verhohlene Drohung der Kommissionschefin ist. Denn bei der Europäischen Union handelt es sich um eine fragile Gemeinschaft aus 27 Mitgliedern, in der es unter anderem diese Probleme gibt:
Die Anzahl der EU-Mitglieder ist schnell gestiegen, nicht aber gleichermaßen der geopolitische Einfluss dieser Gemeinschaft. Daher stellt sich die Frage, ob es nicht an der Zeit ist, der Vertiefung des Staatenbundes größeres Gewicht beizumessen als der Aufnahme neuer Mitglieder.
Das bedeutet sicher nicht, dass die nächste Bundesregierung wie von der AfD gefordert ein Verlassen der Gemeinschaft anstreben oder auch nur damit drohen sollte. Im Gegenteil: Die neue Bundesregierung sollte alles daransetzen, die europäische Integration voranzutreiben, und deren Vertiefung wieder zur Chefsache machen.
Zentrale Impulse für ein geeintes Europa gingen in den frühen Jahren dieser Gemeinschaft von der „deutsch-französischen Achse“ aus. Diese von Adenauer und de Gaulle begründete Achse gilt es zu revitalisieren und bis Polen zu verlängern.
Zudem gilt es, den Euro als Weltwährung zu stärken und damit die Gemeinschaftswährung als Gegengewicht oder zumindest als Ergänzung zum US-Dollar zu etablieren. Dies gilt umso mehr, als zu erwarten ist, dass die weltwirtschaftliche Bedeutung des US-Dollars durch die unter Trump zu erwartende markante Ausweitung der Staatsverschuldung geschwächt wird.

Zudem liegt es nahe, die in den meisten EU-Ländern anstehenden Rüstungsanstrengungen für eine stärkere Kooperation zu nutzen – mit dem Ziel, die alte, aber unverändert richtige Idee einer europäischen Armee Realität werden zu lassen.
Zudem spricht vieles dafür, Freihandelsabkommen wieder als das anzusehen, was sie sind: Verträge zum Wohl der beteiligten Länder. Diese Abkommen als Instrument einzusetzen, um die eigenen Wertvorstellungen und Nachhaltigkeitsanforderungen in anderen Teilen der Welt zu etablieren, ist mit dem Risiko behaftet, potenzielle Partner in die Arme Chinas zu treiben.






Will die EU sich als eine geopolitische Gegenmacht etablieren, gilt es, alsbald einen Mechanismus zu finden, der es erlaubt, unkooperative Mitglieder zu sanktionieren. Ungarn steht nur für etwas mehr als ein Prozent der Wirtschaftsleistung der EU, dennoch besitzt Staatschef Orban ein beachtliches Störpotenzial. Ein Blick nach Rumänien, der Slowakei und Österreich lässt befürchten, dass er bald Nachahmer finden wird.
Es wäre klug, wenn die Gemeinschaft die Kraft zu einer Überwindung der Einstimmigkeitsregel finden würde, selbst auf die Gefahr hin, dass dann einzelne Länder den Staatenbund verlassen. Denn die geopolitische Stärke dieser Staatengemeinschaft dürfte weniger von der Anzahl der Mitgliedsländer abhängen als vielmehr von der Homogenität ihre Werte und Überzeugungen.
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