Kommentar: Der Handel hätte sich besser auf die Bonpflicht vorbereiten können

Seit Jahresbeginn muss zu jedem Einkauf ein Kassenbon gedruckt werden.
Auf den ersten Blick wirkt es wie eine wunderbare David-gegen-Goliath-Geschichte: der kleine Händler, der sich gegen den übermächtigen Staat und seine Bürokratie wehrt, der versucht, mit witzigen und kreativen Ideen zu entlarven, welchen Unsinn ihm die Behörden ohne Not aufbürden. So fordern jetzt Bäckereien mit Aushängen ihre Kunden dazu auf, die Kassenbons, die sie seit dem 1. Januar annehmen müssen, zu sammeln und bei ihrem örtlichen Finanzamt in den Briefkasten zu werfen.
In sozialen Medien wie Facebook gibt es für solche Aufrufe viele positive Kommentare. Da werden die armen Bäckereien bedauert, die jetzt für jedes Brötchen einen Zettel ausdrucken müssen. Da wird der Staat beschimpft für den Schildbürgerstreich der Bonpflicht.
In der Tat mutet es in Zeiten der Digitalisierung vorsintflutlich an, Verkäufe zusätzlich auf Papier zu dokumentieren. Pro Stunde wird dadurch eine 25-Meter-Fichte verbraucht, rechnet ein Handelsforschungsinstitut vor. Und plötzlich fällt allen auf, dass die Bons in der Regel auf umweltschädlichem Thermopapier gedruckt werden.
Aber zur Wahrheit gehört auch: Jedes Jahr entgehen dem Staat mehrere Milliarden Euro an Steuereinnahmen, weil betrügerische Händler, Handwerker oder Gastronomen zu wenig Umsatzsteuer abführen – auf Kosten der großen Mehrheit der ehrlichen Unternehmer. Und alles, was der Staat deshalb verlangt, ist, die Belegdrucker, die ohnehin vorhanden sind, verpflichtend einzusetzen – um damit wenigstens ein bisschen mehr Schutz gegen Betrug zu schaffen.
Was in der aufgeheizten Diskussion gerne übersehen wird: Das „Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen“, wie das Kassengesetz offiziell heißt, ist bereits Ende 2016 im Bundestag verabschiedet worden. Das heißt, seit mehr als drei Jahren weiß der Handel, dass die Bonpflicht auf ihn zukommt. Und genauso lange hätten sich die Unternehmen darauf vorbereiten können, die Folgen dieses Gesetzes im täglichen Geschäft zu minimieren.
Man hätte beispielsweise rechtzeitig die Bondrucker von Thermopapier, das nur als Sondermüll entsorgt werden kann, auf umweltfreundlicheres Papier umstellen können. Damit wäre schon ein großer Aufreger aus der aktuellen Debatte hinfällig.
Doch jetzt erst, wo massive Kritik dazu zwingt, fangen die ersten Händler mit der Umrüstung an. Unternehmen wie Edeka und Alnatura beispielsweise stellen jetzt auf den „Blue4est-Kassenbon“ um. Der wird aus Holz aus zertifiziert nachhaltiger Forstwirtschaft hergestellt und enthält keine chemischen Farbentwickler. Der Bon kann deshalb übers Altpapier entsorgt werden.
E-Bon als Alternative zum Kassenzettel
Noch besser wäre ein E-Bon, der in einer App auf dem Handy oder im Mail-Postfach landet. Doch die Einführung eines solchen Systems fordert Zeit und technischen Aufwand. Und es kostet Geld, das sich viele kleinere Mittelständler nicht leisten können Deshalb wäre es klug gewesen, die vergangenen drei Jahre zu nutzen, Branchenlösungen zu entwickeln, offene Systeme vor allem, die die Kosten für den einzelnen Händler überschaubar halten.
Denn technisch machbar wäre das. Es gibt E-Bon-Verfahren, die alle Kriterien des Gesetzes erfüllen und als vollwertige Alternative zum ausgedruckten Papierbeleg von den Behörden anerkannt werden. Die Supermarktkette Rewe beispielsweise bietet einen solchen E-Bon an. Kunden brauchen dafür eine Payback-Karte und eine E-Mail-Adresse. Wenn sie bezahlt haben, erhalten sie statt eines Papierbons eine Mail mit dem Kassenzettel als Anhang.
Nicht alle Kunden werden da mitspielen, etwa weil sie Bedenken wegen des Datenschutzes haben. Aber die könnten sich ja immer noch einen Bon drucken lassen.
Selbst kleinere Bäckereien lassen sich darauf ein, statt lautstark gegen die Bonpflicht zu protestieren, E-Bon-Systeme zu testen, die von Start-ups entwickelt wurden. So ist in einigen Betrieben bereits die Lösung der Firma SimplyPOS im Einsatz. Statt der Ausgabe eines Papierbons wird dort auf einem Display ein QR-Code angezeigt. Wenn der Kunde diesen mit seinem Handy scannt, bekommt er den Beleg in digitaler Form.
Die Wahrheit ist: Viele Händler hatten bis zuletzt blauäugig darauf gehofft, dass es für sie eine Ausnahmeregelung von der Bonpflicht geben wird. Und nun stimmen sie in das allgemeine Lamento über die Zumutungen der Bonpflicht ein, um über ihre eigene Untätigkeit hinwegzutäuschen.
Dabei ist rasches Handeln geboten. Über die Bonpflicht kann man durchaus noch geteilter Meinung sein und kann sie zur Not sogar aussitzen. Aber das ist erst der Anfang: Ab September dieses Jahres muss jede Registrierkasse verpflichtend mit einer technischen Schutzeinrichtung (TSE) versehen sein, die ein Manipulieren der Kasse unmöglich macht.
Dann erst wird dem Betrug wirksam der Riegel vorgeschoben. Ironie der Geschichte: Dann könnte der Staat die Krücke „Bonpflicht“ auch wieder abschaffen.
Mehr: Die Bon-Pflicht soll Steuerhinterziehung eindämmen. Wirtschaftsverbände befürchten Bürokratie und Zusatzaufwand für die Betriebe.





