Kommentar: Der Kanzler lässt einen Lernprozess bei sich selbst erahnen


Es ist nicht der große Befreiungsschlag geworden. Friedrich Merz hat im Bundestag keine historische Rede gehalten. Aber der Bundeskanzler hat klargemacht, wohin die Reise geht. Echte Reformen sind unausweichlich, wenn der Sozialstaat und der Wohlstand in Deutschland erhalten bleiben sollen. Und ebenso unausweichlich sind große Anstrengungen von uns allen, wenn die deutsche Volkswirtschaft wieder florieren soll.
Der Bundeskanzler ließ dabei auch einen Lernprozess bei sich selbst erahnen. Merz hat viel zu hohe Erwartungen geweckt im Wahlkampf, hat den Eindruck entstehen lassen, dass, sobald er Kanzler sei, alles schneller gehe. Doch so einfach geht das nun mal nicht in einer Demokratie, noch dazu nicht, wenn die Partei über keine absolute Mehrheit verfügt.
Demokratie bedeutet Kompromiss. Merz hat selbst ein wenig gebraucht, bis er das verstanden hat.
Es darf nicht bei Reformankündigungen bleiben
Dass der Kanzler die Mühen der Demokratie, aber auch die Notwendigkeit von unangenehmen Reformen in seiner Rede herausgestellt hat, war richtig. Wegen der Wirtschaftslage, der internationalen Krisen, aber auch weil Probleme wie der demografische Wandel verschlafen wurden, müssen die Menschen auf eine gemeinsame Anstrengung eingeschworen werden.
Wenn man frühere Regierungsmitglieder fragt, warum Deutschland etwa nicht längst die Rente reformiert hat, heißt es, die Menschen hätten es zu Zeiten der Hochkonjunktur nicht mitgemacht. Jetzt sind die Wirtschaftslage und die Schieflage bei den Sozialsystemen für alle spürbar. Jeder weiß, dass etwas passieren muss.
Merz muss den Zeitpunkt nutzen. Es darf nicht bei leeren Reformankündigungen bleiben, es muss auch deutlich mehr folgen, als bisher im Koalitionsvertrag beschlossen wurde. Sonst hätte der Kanzler einmal mehr Erwartungen geweckt und dann nicht geliefert. Es wäre nicht nur für seine politische Zukunft fatal.





