Kommentar: Der Pflegenotstand herrscht auch zu Hause, nicht nur in den Heimen

Mehr Wertschätzung für professionelle Pfleger, aber auch für pflegende Angehörige.
Berlin. Es ist ein Horrorszenario, in dem sich wohl niemand im Alter als Hilfebedürftiger gerne wiederfinden möchte: Weil Hunderttausende Beschäftigte aus dem Pflegeberuf geflohen sind, werden Arbeitslose als Hilfspfleger zwangsverpflichtet. Und weil nur noch wenige Pfleger da sein werden, die sich um die alten Menschen kümmern, können Menschen ab 80 Jahren bei den Behörden darum bitten, ihr Leben zu beenden. Diese Dystopie für das Jahr 2033 hat die neue Präsidentin des Pflegerats, Christine Vogler, gerade beim Deutschen Pflegetag gezeichnet.
Der künftigen Regierung hat Vogler damit drastisch ins Pflichtenheft diktiert, was in den nächsten vier Jahren zu tun ist: Die Arbeitsbedingungen in der Pflege müssen verbessert werden. Sonst wird es in ein paar Jahren noch weniger Menschen geben, die sich um die demografiebedingt wachsende Zahl von Pflegebedürftigen kümmern wollen und können.
Dabei geht es nicht nur um vernünftige Bezahlung, sondern auch um weniger Bürokratie und Zeitdruck sowie bessere Personalschlüssel, damit Pflegende den Job auch so machen können, wie es ihr Berufsethos verlangt.
Doch der Blick allein auf die Situation in den Heimen und Pflegediensten greift zu kurz. Rund 80 Prozent der etwa vier Millionen Pflegebedürftigen werden zu Hause betreut – oft von ihren Angehörigen.
Viele pflegende Angehörige nehmen finanzielle Nachteile in Kauf
Diesen muss die nächste Regierung mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit schenken wie der professionellen Pflege: Um den Pflegenotstand in den Heimen zu verhindern und um dem Wunsch der meisten Pflegebedürftigen gerecht zu werden, weiter in den eigenen vier Wänden zu leben.
Viele pflegende Angehörige – meist Frauen – nehmen aber berufliche und finanzielle Nachteile in Kauf. Oder sie reiben sich zwischen Job, Pflege der betagten Eltern und Erziehung der Kinder selbst auf.



Ein höheres Pflegegeld, bessere Rentenanwartschaften für Pflegende oder ein dem Elterngeld vergleichbarer Lohnersatz, mit dem sich eine berufliche Auszeit finanziell überbrücken ließe, könnten hier helfen. Auch gilt es, faire gesetzliche Rahmenbedingungen für Hunderttausende sogenannte 24-Stunden-Pflegerinnen in deutschen Haushalten zu schaffen, ohne die das Pflegesystem längst kollabiert wäre.
All das ist nicht zum Nulltarif zu haben, aber sicher günstiger, als Pflegebedürftige von morgen auf teure stationäre Heimplätze zu verweisen. Diese sind heute schon knapp und werden auch künftig kaum in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen. Vom fehlenden Personal ganz zu schweigen.
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