Kommentar: Der Ukraine-Kompromiss läuft auf einen Sieg des Aggressors hinaus


Eine Einigung auf einen Friedensplan in Moskau scheint erstmals möglich zu sein. Aber fest steht schon jetzt, dass es ein Diktatfrieden sein wird – zulasten fundamentaler Interessen der Ukraine und der Europäer.
Dass nach fast vier Jahren Krieg ein Kompromiss überhaupt denkbar erscheint, hängt weniger mit diplomatischem Verhandlungsgeschick der Akteure in Washington, Kiew, Moskau oder Brüssel zusammen. Im Gegenteil: Es ist erstaunlicherweise das Chaos, das neue Möglichkeiten eröffnet.
Beispiel Europa: Die Krisenmanager in Berlin, Paris, London und Brüssel gaben sich stets der etwas selbstgefälligen Illusion hin, der einzige wahrhaftige Unterstützer des Kriegsopfers und des Kampfs um den Erhalt der Souveränität der Ukraine zu sein. Doch sie verfügten seit Beginn der Vollinvasion 2022 weder über eine stringente Strategie zur Erreichung dieses Ziels, noch unternahmen sie entgegen anderslautenden (Selbst-)Beschwörungen mit letzter Konsequenz den Versuch, die Ukraine mit den zur Verteidigung notwendigen Waffen auszustatten.
Beispiel USA: Für Ex-Präsident Joe Biden gilt im Grunde das Gleiche wie für die Europäer, nur dass er mit ausreichender militärischer, geopolitischer und nachrichtendienstlicher Macht ausgestattet war, um wirklich etwas in diesem Krieg bewegen zu können. Was die Sache freilich nicht besser macht.
Seit Donald Trump sein Nachfolger geworden ist, kommt die fatale Bereitschaft hinzu, diese Macht für eine Komplizenschaft mit Moskau zu nutzen – zulasten Kiews und der europäischen Sicherheitsinteressen. Hinzu kommt, dass der US-Präsident strategische Außenpolitik mit privatwirtschaftlichem Kalkül vermischt und Unterhändler in die Welt schickt, die zwar Immobilienverträge aushandeln und aufsetzen können, sich in der hochkomplexen Welt der Diplomatie jedoch kaum unfallfrei bewegen.
Beispiel Russland: Der Kriegsherr Wladimir Putin scheint vor dem Hintergrund seiner irrlichternden Kollegen in Europa und den USA tatsächlich wie ein rationaler Akteur – zumindest im Sinne seiner zynischen Ziele. Eine klare Strategie, erfahrene und gewiefte Diplomaten à la Lawrow sowie eine im Übermaß vorhandene Skrupellosigkeit machen das scheinbar Unmögliche möglich: Russland darf sich berechtigte Hoffnungen machen, sich de facto und de jure ein großes Stück Ukraine einzuverleiben, obwohl das eindeutig gegen das Völkerrecht verstößt und eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit darstellt.
Kompromiss könnte Sieg des Aggressors festschreiben
All das zusammengenommen bedeutet schließlich für die Ukraine eine Konstellation, die ungünstiger kaum sein könnte. Um den kompletten Ausverkauf seines Landes zu verhindern und einen letzten Rest Souveränität und Würde zu wahren, ist Präsident Wolodymyr Selenskyj gezwungen, gute Miene zu einem Spiel zu machen, das böser kaum sein könnte. Trotz des offensichtlichen Verrats Washingtons sieht er sich gezwungen, das Engagement des US-Präsidenten auch noch zu loben.
Ja, Trump hat etwas bewegt – was sein Vorgänger und auch die europäischen Krisenmanager nicht vermochten. Diese Bewegung mag tatsächlich erst einmal Frieden bringen. Aber es ist und bleibt ein Diktatfrieden.
Nach jetziger Lage würde ein Kompromiss, den Moskau für zustimmungswürdig hielte, fast einen vollständigen politischen und militärischen Sieg des Aggressors festschreiben. Die Ukraine wäre keineswegs mehr ein souveränes Land, sondern ein Rumpfstaat, der in seiner Außen- und Verteidigungspolitik eingeschränkt wäre. Und es ist nicht einmal ausgemacht, dass Selenskyj selbst einen solchen Diktatfrieden politisch überleben würde. Wozu all die Toten, wird sich das Volk fragen, werden sich die Familien fragen, werden sich die Soldatinnen und Soldaten fragen.
Und die Tatsache, dass die möglichen Kriegsgewinner in Moskau, aber auch deren Komplizen in Washington bereits Neuwahlen in der Restukraine fordern, offenbart die ganze Misere, in der sich das Land befindet.
Die Ukraine droht am Ende Würde und ihren wichtigsten Partner zu verlieren
„Wir haben nur die Wahl zwischen dem Verlust unserer Würde und dem Verlust unseres wichtigsten Partners“, sagte Selenskyj in einer Ansprache an sein Volk, nachdem der US-Präsident jenen 28-Punkte-Plan, der auf eine Kapitulation der Ukraine hinauslief, mit einem erpresserischen Ultimatum verbunden hatte. Das klang dramatisch, war aber eine Untertreibung, denn am Ende droht die Ukraine tatsächlich beides zu verlieren.
Und neben der Ukraine zeichnet sich bereits ein zweiter großer Verlierer ab: die Europäer. Denn nicht nur ihre grundlegenden Sicherheitsinteressen stehen auf dem Spiel, falls das Kriegskalkül des Kremls aufgeht. Das Papier, auf dem der Friedensvertrag unterzeichnet wird, könnte sich ebenso als transatlantisches Trennungspapier erweisen.
Das Vertrauen in den einstigen Wertepartner ist erschüttert, und es wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, es wiederherzustellen. Aus deutscher Perspektive ist dies ein Verlust, der das Wort „Zeitenwende“ tatsächlich einmal rechtfertigt. Denn der „lange Weg nach Westen“ (Winkler) war beschwerlich, und unzählige unschuldige Opfer blieben auf dem Weg liegen.





Nun, 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und wo Deutschland längst ein fester Bestandteil des Westens ist, findet sich dort kaum noch jemand, den man als echten Wertepartner bezeichnen könnte – zumindest nicht unter den politisch Verantwortlichen der westlichen Führungsmacht.
Der amerikanische Verrat an der Ukraine und die Kumpanei mit Moskau senden ein unmissverständliches Signal in die Welt: Amerikanische Werte wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie stehen zum Verkauf – am Ende auch das Sendungsbewusstsein, auf dem der erstaunliche Erfolg Amerikas beruht. Es ist nicht das „goldene Zeitalter“, das bevorsteht, wie Trump es beschwört. Es könnte vielmehr den Anfang vom Ende eines durch und durch amerikanischen Jahrhunderts markieren.
Mehr: Was, wenn hinter Trumps Polit-Chaos doch ein großer Plan steckt?







