Kommentar: Deutschland taugt nur als Vorbild im Klimaschutz, wenn die Industrie überlebt
Die konventionellen Produktionsverfahren in der Stahl- und der Cemieindustrie haben keine Zukunft mehr.
Foto: imago images/simmeDer Überbietungswettbewerb beim Ausrufen neuer Klimaziele hat skurrile Züge angenommen. Zuletzt verstieg sich die Große Koalition dazu, das mühselig international ausgehandelte und seit Jahren bewährte System der Zieljahre 2030 und 2050 zu durchbrechen, um noch etwas mehr Aufmerksamkeit zu erringen. Die Bundesregierung verlegte das Ziel der Klimaneutralität kurzerhand vor auf das Jahr 2045. Damit hat sie für Deutschland ein weltweites Alleinstellungsmerkmal errungen.
Die Vorverlegung um fünf Jahre ist reine Symbolpolitik und mit nichts unterlegt. Das Beispiel unterstreicht die Widersprüchlichkeit der Klimaschutzpolitik. Die jahres- und sektorscharfe Definition von Emissionsobergrenzen funktioniert gut; danach passiert noch immer zu wenig.
Immerhin scheint sich in der Großen Koalition die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass es so nicht bleiben kann. Dennoch sind die Bemühungen, die Zielerreichung mit Taten zu unterlegen, noch nicht ausreichend.
Besonders deutlich wird das beim Sektor Industrie. Das Sektorziel für 2030 soll mit der Novelle des Klimaschutzgesetzes noch einmal deutlich nachgeschärft werden. Wie die betroffenen Unternehmen das Ziel erreichen sollen, ist im Moment noch nicht klar.
Zyniker behaupten ja, es gebe Politiker, die das Abwandern ganzer Branchen aus Deutschland als den schnellsten Weg zum Erreichen der Klimaschutzziele ansähen. Hoffentlich ist das nur schwarzer Humor.
Es gibt keinen globalen CO2-Preis
Denn die Vorbildrolle, die Deutschland im Klimaschutz gern spielen möchte, funktioniert nur, wenn energieintensive Branchen die Transformation zur Klimaneutralität hierzulande schaffen. Und zwar auch dann, wenn ihre Wettbewerber in anderen Weltregionen keine oder weitaus geringere Klimaschutzlasten tragen.
Ein ambitionierter CO2-Preis, der zumindest auf Ebene der G20 verbindlich geregelt wird, wäre der einzige wirksame Schutz. Doch dieses Instrument, sosehr es auch von vielen Akteuren herbeigesehnt wird, gibt es nicht. Solange das so ist, müssen europäische Unternehmen wirksam, verlässlich und langfristig geschützt werden, damit sie im internationalen Wettbewerb bestehen können.
Das galt auch bislang schon. Allerdings haben sich die Vorzeichen in den vergangenen zwei Jahren dramatisch verändert. Die Industrie war davon ausgegangen, dass ihr bei einem Reduktionsziel von 80 bis 95 Prozent bis 2050 noch ein paar schwer vermeidbare Emissionen zugebilligt würden. Seit aber von Klimaneutralität die Rede ist, hat sich die Lage verändert.
Klimaneutralität in der Chemie- oder Stahlindustrie lässt sich nur mit gigantischen Mengen an Strom aus erneuerbaren Quellen und mit klimaneutralem Wasserstoff erreichen. Die Grundstoffindustrie in Deutschland, die am Anfang wichtiger Wertschöpfungsketten steht, braucht klare Zusagen, wie sie die zusätzlichen Kosten stemmen soll. Sie braucht Investitionszuschüsse und Betriebskostenzuschüsse in hoher zweistelliger Milliardenhöhe. Weitere Zielerhöhungen braucht sie dagegen nicht.