Kommentar: Die abgebauten Strafzölle sind gut – aber nur der hohen Inflation zu verdanken

Ein Mitarbeiter reinigt im Stahlwerk der Salzgitter AG eine Roheisenpfanne. Der Export von Stahl in die USA wird wieder leichter.
Die Einigung bei den Strafzöllen gibt Grund zur Hoffnung für eine Entspannung in den internationalen Handelskonflikten. Aber sie ist vor allem ein Beweis für den amerikanischen Pragmatismus in Zeiten hoher Inflation. US-Präsident Joe Biden und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen feiern das Aussetzen der Strafzölle auf Stahl zwar bereits als „Meilenstein“ und sprechen von einer „neuen Ära der transatlantischen Zusammenarbeit“.
Tatsächlich dürfte für Biden weniger das transatlantische Verhältnis im Mittelpunkt stehen, sondern der Druck in der Heimat. Lieferengpässe und eine Inflation von mehr als fünf Prozent machen den import-abhängigen amerikanischen Verbrauchern zu schaffen.
Der Unmut in der US-Bevölkerung wächst. Da kommen die Stahlzölle als einfache Stellschraube nur gelegen, mit der Biden der US-Industrie zumindest bei den Stahlkosten etwas Luft verschaffen kann: In Zukunft dürfen die USA bestimmte Mengen Stahl aus der EU importieren, ohne dass darauf 25 Prozent Strafzölle fällig werden. Im Gegenzug lassen die Europäer ihre Vergeltungszölle auf Whiskey, Jeans und Harley Davidson fallen, die sich im Dezember sogar verdoppeln sollten.
In Zeiten, in denen die Verbraucher auf beiden Seiten des Atlantiks ohnehin mit steigenden Preisen kämpfen, ist jeder Wegfall von zusätzlichen Kosten willkommen. Es ist auch längst an der Zeit, dass sich das Verhältnis zwischen den Europäern und den USA verbessert. Aber mit einem vorübergehenden Einlenken bei den Stahlzöllen beginnt noch keine neue Ära.
US-Außenpolitik ist von Pragmatismus geprägt
Die Idee vieler Europäer, dass Biden mit seinem Amtsantritt alle Regeln der Trump'schen Eiszeit vom Tisch wischt und die guten transatlantischen Beziehungen ohne jegliche Forderungen wieder herstellt, hat sich als Trugschluss erwiesen. Das galt nicht nur für die Strafzölle, sondern auch für den Einreisestopp, der für EU-Bürger erst am 8. November fällt, während Menschen aus anderen Ländern mit viel höheren Covid-Raten schon seit Monaten ins Land können.





US-Außenpolitik war trotz aller hochtrabenden Rhetorik schon immer von einem enormen Pragmatismus geprägt. Auch diesmal kommt Biden die „neue Ära der transatlantischen Beziehungen“ in Form von niedrigeren Stahlpreisen äußerst gelegen, wenn damit etwa die US-Autopreise etwas sinken können.
Für eine neue Ära braucht es mehr. Gerade gegenüber China und beim Klimawandel sollten die EU und die USA stärker zusammenarbeiten. Die angestrebte Vereinbarung etwa, den Handel mit Stahl und Aluminium an den CO2-Verbrauch zu binden und damit den Zugang zum US-Markt für „schmutzigen“ Stahl aus China zu beschränken, ist ein gutes Beispiel dafür. Und ein pragmatisches.
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