Kommentar: Die finanzielle Abkoppelung von den USA hat ihre Grenzen
Als der chinesische Internetkonzern Alibaba 2014 an der New York Stock Exchange sein historisches Börsendebüt feierte, fand der Gründer und damalige Konzernchef Jack Ma treffende Worte: „Was wir heute eingenommen haben, ist nicht Geld, sondern Vertrauen.“ Alibabas Notierung an der Wall Street war ein symbolischer Börsengang für die weltweiten Verflechtungen der chinesischen Wirtschaft.
Sechs Jahre später geht die Alibaba-Ausgründung Ant Group, ein Finanz- und Technologiekonzern, eben nicht mehr diesen Schritt, sondern wird ihre Aktien an den Börsen in Schanghai und Hongkong notieren lassen. Das ist ebenso symbolisch.
Die seit Juli kursierenden Pläne von Ant sind das jüngste Zeichen dafür, dass der Streit zwischen den USA und China schon längst kein reiner Handelskonflikt mehr ist. Das Ringen um die Vormachtstellung in der Welt hat sich zu einem technologischen Ringen ausgewachsen, wie wir am Beispiel von Huawei oder Tencent sehen, und führt zunehmend auch in der Finanzwelt zu Abkoppelungsversuchen.
230 chinesische Unternehmen sind derzeit an den US-Börsen notiert. Es könnten deutlich weniger werden. Denn nach Bilanzfälschungen der chinesischen Kaffeehauskette Luckin Coffee haben die Republikaner und Demokraten im US-Senat im Mai einstimmig ein Gesetz vorgelegt, das chinesische Unternehmen dazu zwingt, US-Aufsehern ihre Wirtschaftsprüfungsberichte vorzulegen, wollen sie weiter an US-Börsen notiert bleiben. Auch eine zu enge Beziehung zum chinesischen Staat könnte künftig die Börsennotierung gefährden.
So profitiert ausgerechnet die Börse der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong finanziell vom US-China-Konflikt – in Zeiten, in denen Peking durch das Sicherheitsgesetz in diesem Jahr die Freiheiten in Hongkong entgegen den internationalen Absprachen immens eingeschränkt und so den Streit mit Washington zusätzlich angeheizt hat. Es profitiert aber vor allem das erst vor gut einem Jahr gestartete Wachstumssegment „Star Market“ der Börse Schanghai.
Mehr als 140 Unternehmen sind mittlerweile im Star-Segment notiert. 400 weitere stehen angeblich schon in den Startlöchern. Die Notierung des Halbleiterunternehmens SMIC hat dem Segment bereits zu deutlich mehr Volumen verholfen; folgt jetzt Ant mit weiteren Milliarden, wäre dies ein großer Schub für das Segment, das sich als Konkurrenz zur US-Technologiebörse Nasdaq etablieren will. Peking möchte Star Market auch als Alternative zum für internationale Investoren noch weitaus wichtigeren Finanzplatz Hongkong aufbauen.
So, wie die chinesische Regierung in der Chipbranche die Devise ausgegeben hat, möglichst schnell unabhängig von den USA zu werden, so könnte die Vision auch für die Aktienmärkte aussehen. Doch in der globalisierten Finanzwelt ist das nicht so einfach.
Zum einen zeigt eine Studie des Peterson Institute for International Economics auf, dass viele US-Finanzunternehmen wie Goldman Sachs ihr Engagement in China gerade ausbauen, weil es ihnen erstmals erlaubt wird, die Mehrheit an Gemeinschaftsfirmen zu übernehmen. Auch der Fondsanbieter Vanguard profitiert im China-Geschäft etwa über ein Joint Venture mit Ant.
Peking fürchtet das Machtinstrument US-Dollar
Zum anderen aber ist die chinesische Währung Yuan trotz der Börsenerfolge in China und trotz der realwirtschaftlichen Aufholjagd der Volksrepublik noch weit davon entfernt, dem Dollar Paroli bieten zu können. Die chinesische Devise verharrt nach Angaben der Zahlungsplattform Swift an fünfter Position als globale Währung, mit einem Anteil von unter zwei Prozent am internationalen Zahlungsverkehr.
Peking versucht seit Jahren, den Anteil auszubauen, etwa im bilateralen Handel mit Russland. Da der Yuan aber nicht frei konvertierbar ist, sind der Rolle des Yuans derzeit Grenzen gesetzt. Die chinesische Führung weiß dies – und sie weiß, dass Washington den Dollar gegen Russland, den Iran und Venezuela als Machtinstrument eingesetzt hat.
Die Abhängigkeit von der Zahlungsplattform Swift, auf die alle Finanzakteure angewiesen sind und die Washington etwa als Druckmittel gegenüber Moskau eingesetzt hat, ist nicht umsonst ein Diskussionsthema in China – ebenso wie mögliche Umgehungen etwa über eine eigene Digitalwährung. Vom gegenseitigen Vertrauen, das Jack Ma vor sechs Jahren beim Börsengang von Alibaba beschwor, ist nichts mehr geblieben. .