Kommentar: Die Grünen sind außer sich vor Wut – doch damit müssen sie leben

Der realpolitische Kurs von Baerbock und Robert Habeck kommt bei der Parteibasis nicht gut an.
Demokratie schmerzt – diese Erfahrung müssen die Grünen nun auch in der Asylfrage machen. Die EU-Innenminister haben mit großer Mehrheit eine europäische Asylreform beschlossen, die aus grüner Sicht unmoralisch und menschenrechtswidrig ist.
Flüchtlinge, die aus Ländern mit geringer Anerkennungsquote kommen, sollen künftig in Auffanglagern direkt an der Grenze ein Schnellverfahren durchlaufen – und bei einem negativen Bescheid gleich wieder abgeschoben werden. Obendrein könnten sie in fremden Ländern landen, mit denen sie bisher nur wenig Berührungspunkte hatten, da sie auch in vorherige Transitländer abgeschoben werden können.
Die Regierungen erhoffen sich davon einen Abschreckungseffekt: Wenn Migranten wissen, dass sie an der Grenze direkt interniert werden und hinterher womöglich in Ruanda landen, machen sie sich vielleicht gar nicht erst auf den Weg nach Europa. So könnten die Zahlen der Ankömmlinge langfristig sinken.
Deutschland im konservativen EU-Rat isoliert
Deutschland fand sich mit seinen liberalen Vorstellungen im konservativ geprägten EU-Rat allein wieder. Die Forderung, zumindest Familien mit minderjährigen Kindern nicht in die Auffanglager zu schicken, wurde abgeschmettert. Es ist eine ungewohnte Erfahrung für den größten Mitgliedstaat, kein Gehör zu finden. Vor allem die Grünen sind außer sich vor Wut, die Basis probt den Aufstand gegen die Realpolitiker Annalena Baerbock und Robert Habeck.
Es ist das gute Recht jeder Person, auch nach einer Abstimmungsniederlage für ihre politischen Grundsätze einzustehen. Aber sie sollte sich an die Grundregel der Demokratie halten und die Mehrheitsentscheidung akzeptieren. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Partei wie die Grünen stets europäische Lösungen fordert. Den mühsam gefundenen Kompromiss im Nachhinein infrage zu stellen, wäre Heuchelei.
Eine Reform des Asylsystems ist dringend nötig, denn seit Jahren macht jeder EU-Grenzstaat, was er will. Dieser nationale Wildwuchs muss ein Ende haben. Vor allem müssen Flüchtlinge, wie im Dublin-Abkommen vorgesehen, dort registriert werden, wo sie EU-Boden betreten.

Eine Reform des Asylsystems ist dringend notwendig, insbesondere die Mittelmeerstaaten brauchen mehr Unterstützung.
Damit das funktioniert, brauchen Länder wie Griechenland und Italien mehr Unterstützung. Dass die Minister sich nun auf einen Verteilschlüssel und Ausgleichszahlungen geeinigt haben, ist ein großer Fortschritt.
Die Reform sollte vor der Europawahl kommen
Es ist zu hoffen, dass der Kompromiss im Europaparlament nicht zerredet wird. Wer jetzt an Maximalforderungen festhält, riskiert das Scheitern der Reform. Denn leichter wird die Debatte nicht: Im Juni 2024 steht die nächste Europawahl an, und den Umfragen zufolge sitzen danach noch mehr rechte Abgeordnete in der Kammer. Es sollte daher auch im Interesse der Grünen sein, die Beratungen schnell abzuschließen.
Danach wird sich zeigen, ob die Asylreform der Realität standhält. Der Wunsch nach einem besseren Leben wird Menschen aus ärmeren Ländern immer Richtung Europa treiben. Ob die Auffanglager tatsächlich zur Senkung der Migrantenzahlen beitragen, bleibt abzuwarten – ebenso wie die Frage, ob die Mittelmeerstaaten ausreichend menschenwürdige Unterkünfte bereitstellen.
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Auch ist unklar, ob der neue Solidaritätsmechanismus funktionieren wird. Es ist leicht vorstellbar, dass Ungarn oder Polen sich weigern, Ausgleichszahlungen an Italien zu überweisen. Dies durchzusetzen, wird Sache der Kommission sein.

Der Anfang ist gemacht. Sobald das Asylverfahren geregelt ist, sollten die Regierungen dringend die legale Einwanderung nach Europa erleichtern. Denn da bestehen noch zu viele Hürden – und nur die Zuwanderer werden den Wohlstand unserer alternden Gesellschaften auf Dauer sichern.
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