Kommentar: Die Industrie muss sich mit einem unbequemen Thema auseinandersetzen


Was jetzt über Thyssen-Krupp bekannt wurde, hat der deutschen Wirtschaft gerade noch gefehlt: Der Industriekonzern prüft, die Umstellung seiner Stahlhütten auf die Produktion von grünem Stahl mithilfe von Wasserstoff abzubrechen.
Diese Nachricht fällt in eine Zeit, in der Konzerne wie Volkswagen oder der Zulieferer ZF in der Krise stecken, in der die Wirtschaft schrumpft und sich Wirtschaftsvertreter von den Anforderungen der Energiewende zunehmend überfordert fühlen.
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Wenn jetzt auch noch das wichtigste Klima-Transformationsprojekt der deutschen Industrie vor dem Aus steht, dann zieht das all jenen den Boden unter den Füßen weg, die – wie der Kanzler im vergangenen Jahr – noch auf ein grünes Wirtschaftswunder gehofft hatten.
Spätestens jetzt ist es Zeit, sich ehrlich zu machen. Im Zentrum dieses Prozesses steht die Frage, welche Probleme Wasserstoff in absehbarer Zeit lösen kann – und welche nicht.
Energiemanager sprechen von einem Hype, in den man sich in den vergangenen Jahren hineingeredet habe, der aber nicht umsetzbar war. Und Berater sagen, es gebe im Bereich Wasserstoff für sie keine Projekte – weil alle nur über das Thema sprechen, aber niemand ernsthaft investiert.
Wasserstoff scheitert nicht nur am Henne-Ei-Problem
Eine BCG-Studie zeigte jüngst, dass noch nicht einmal zwei Prozent der für 2030 in Europa angekündigten Produktionskapazitäten für grünen Wasserstoff über den Planungsstand hinausgekommen sind.
Und erst kürzlich hat der norwegische Gaskonzern Equinor Pläne zum Export von Wasserstoff nach Deutschland über eine neu zu bauende Pipeline aufgegeben. Zu teuer, zu wenig Nachfrage.
Wasserstoff ist ein Feld, in dem niemand ernsthaft Pionier sein will. Seit Jahren sprechen die Akteure von einem „Henne-Ei-Problem“ – den potenziellen Nachfragern fehlt das Angebot und den potenziellen Anbietern die Nachfrage.
Wenn Thyssen-Krupp jetzt auch noch als großer, stabiler Wasserstoffkunde ausfällt, dann verunsichert das die Branche weiter. Das weiß die Politik und hat für den Bau der neuen Anlage von Thyssen-Krupp Hilfen in Höhe von zwei Milliarden Euro zugesagt.
Doch es geht um mehr als um ein Henne-Ei-Problem. Die Wirtschaft von Staatsseite anschieben, die dann von ganz allein floriert, das ist zu einfach. Experten gehen davon aus, dass etwa die Produktion des wichtigen Vorprodukts Eisenschwamm in Deutschland erheblich teurer sein wird als dessen Import aus anderen Ländern.
Einige Produktionsschritte könnten künftig in Deutschland einfach zu teuer sein. Es ist Zeit, sich mit dieser Perspektive auseinanderzusetzen.





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Erstpublikation: 07.10.2024, 18:14 Uhr.






