Kommentar: Drei große Risiken, aber eine dicke Chance für das neue Börsenjahr

Die hohe Inflation und der Ukrainekrieg dürften auch 2023 die Börsen belasten.
Zwei von drei Aktienjahren enden laut Statistik mit einem Gewinn. Insofern spricht eigentlich einiges dafür, dass 2023 ein gutes Jahr wird, nachdem für 2022 weltweit fast 20 Prozent Verlust zu Buche stehen.
Die verheißungsvollen Monate Oktober bis Dezember, die mit einem Zugewinn von zehn Prozent eine noch sehr viel schlechtere Jahresbilanz verhindert haben, sind schon mal ein guter Anfang – aber auch eine schwere Hypothek. Seit Herbst haben die Aktienmärkte in einen aggressiven Offensivmodus umgeschaltet.
Nicht mehr der unberechenbare russische Angriffskrieg in der Ukraine, die Energie- und Gaspreiskrise und der drohende Konjunkturabschwung stehen im Mittelpunkt des Börsengeschehens.
Stattdessen honoriert die Mehrheit der Investoren die starke Ertragssituation der Unternehmen. Diese haben 2022 fast ebenso hohe Gewinne eingefahren wie im Rekordgewinnjahr 2021, als noch kein Krieg und steigende Preise die Geschäfte erschwert hatten.
Doch die hohen Konzerngewinne 2022 sind Vergangenheit, an der Börse wird die Zukunft gehandelt. Dass es hier in diesem Jahr für noch mehr reicht und die Aktienmärkte an ihre Rekordhöhen anknüpfen können, die sie vor genau einem Jahr erreicht hatten, erscheint unwahrscheinlich. Drei Großrisiken belasten die Kurse, eine Chance beflügelt sie.
Inflation setzt Unternehmen unter Druck
Risiko eins, die hohe Inflation: Knapp zehn Prozent Preissteigerung, wie wir sie in Europa und Amerika derzeit erleben, ist die höchste Inflation seit der Ölpreiskrise in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Bislang ist es vielen Unternehmen gut gelungen, steigende Preise für Energie, Vorprodukte und Dienstleistungen weiterzureichen, sodass die Umsätze und Gewinne oftmals sogar stärker zulegten als in vorinflationären Zeiten.
Doch daraus zu schließen, dass dies auch 2023 passiert, wäre naiv. Der härtere Wettbewerb, kombiniert mit höherem Preisbewusstsein der Kunden – das sind Verbraucher und andere Unternehmen – dürfte es zunehmend erschweren, steigende Preise wie bisher erfolgreich abzuwälzen.
Dass dies 2022 gelang, ist vor allem Corona-bedingten Nachholeffekten und weltweiten Lieferkettenschwierigkeiten geschuldet. Beides machte es leicht, bei den Kunden höhere Preise einzufordern.
Doch in einer sich abschwächenden Konjunktur werden schon bald mehr Firmen und Verbraucher gezwungen sein, Preise stärker zu vergleichen und im Zweifel weniger zu ordern, weil die Inflation zu viele Reserven wegschmelzen lässt.
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Risiko zwei, steigende Zinsen: Wer darauf spekuliert hatte, dass die Notenbanken 2023 die Zinswende ausklingen lassen werden, wurde im Dezember eines Besseren belehrt. Die Bekämpfung der Inflation steht unverändert im Fokus, weshalb die Zinsen auch 2023 weiter steigen werden. Allenfalls das Tempo der Erhöhungen wird zurückgehen.

Für die Notenbanken steht 2023 die Bekämpfung der Inflation im Vordergrund.
Steigende Zinsen verteuern neue Kredite, erhöhen die Zinslasten und gehen deshalb auf Kosten der Gewinne, künftiger Investitionen und des Konsums. All das wirkt sich negativ auf die Konjunktur aus oder würgt sie sogar ab.
Üblicherweise senken Notenbanken die Zinsen, wenn die Wirtschaft in Schwierigkeiten gerät, um so mit preiswerterem Geld die Konjunktur zu stimulieren. Das wird 2023 aber nicht der Fall sein, im Gegenteil: Die Notenbanken haben wiederholt kommuniziert, dass die Bekämpfung der Inflation im Vordergrund steht, selbst dann, wenn dadurch eine Rezession ausgelöst wird.
Steigende Zinsen gehen immer mit höheren Schwankungen der Kurse einher. Dabei gibt es ein klares Muster: Je länger und stärker die Zinsen steigen, desto größer wird der Druck auf die Aktien.
Anfangs, auch das ist typisch, können sich Aktien den steigenden Zinsen gut entziehen, weil noch genügend Nachfrage die Gewinne treibt. Doch je stärker die Zinsen steigen, desto mehr geraten die Kurse schließlich unter Druck, weil durch die steigenden Zinsen die Firmenerträge sinken und die Konjunktur geschwächt wird. Dieser Effekt wird sich 2023 zeigen; wenn nicht in der ersten, dann spätestens in der zweiten Jahreshälfte.
Hoffnung auf bessere Exporte
Risiko drei, der Krieg: Eine Prognose zu wagen, wie sich der russische Angriffskrieg auf die Börsen auswirken wird, ist schwierig. Eines scheint sicher: Ein Ende der Kriegshandlungen würde die Kurse beflügeln; ist aber nicht in Sicht. Umgekehrt hätte eine Ausweitung des Krieges, einschließlich einer Konfrontation der beiden Atommächte Russland und USA, das Potenzial, die Börsen noch stärker als 2022 unter Druck zu setzen.
In der Summe spricht vieles für ein schwieriges Börsenjahr. Die verbleibende Chance liegt darin, dass es den Unternehmen weiter gelingen sollte, ihre Produkte und Dienstleistungen erfolgreich abzusetzen, vielleicht sogar noch besser als 2022.
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Dafür spricht, dass mit China ein großes Land auf die globale Wirtschaftsbühne zurückkehrt, nachdem dort die restriktive Null-Covid-Politik abrupt gelockert wurde. Davon werden vor allem exportstarke Unternehmen mit hohem China-Anteil profitieren.
Deutschland und der Dax haben viele solcher Konzerne. Die Autobauer erwirtschaften rund ein Drittel ihrer Umsätze in China, Volkswagen sogar 40 Prozent. Hier liegt wohl eine der größten Chancen für das Börsenjahr 2023.
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