Kommentar: Drei Kriterien für eine neue China-Strategie
Deutsche und chinesische Flaggen: Das Verhältnis zwischen China und Deutschland wandelt sich.
Foto: dpaDie Bundesregierung arbeitet mit Hochdruck an einer neuen Chinastrategie – es ist essenziell, dass diese den neuen Realitäten Rechnung trägt. Die Prioritäten Pekings haben sich unter Staats- und Parteichef Xi Jinping völlig verändert. Nicht mehr das Wachstum der Wirtschaft steht im Vordergrund, sondern ideologische Ziele: Null-Covid, innere und äußere Sicherheit – und auch das Dogma der Nichteinmischung in die „inneren Angelegenheiten“ Chinas, insbesondere bei Menschenrechtsvergehen, haben einen neuen, noch wichtigeren Stellenwert.
Und: die „Wiedervereinigung“ Chinas mit Taiwan. Manche glauben, dass ein chinesischer Angriff auf die Insel nur eine Frage der Zeit ist. Eine militärische Auseinandersetzung zwischen den USA und China könnte die Folge sein – mit katastrophalen Auswirkungen.
Deutschland und Europa müssen vor diesem Hintergrund ihre Regeln und Grundsätze im Umgang mit der Autokratie anpassen. Allein die Tatsache, dass die Bundesregierung sich überhaupt systematisch und über alle Ressorts hinweg mit den neuen Herausforderungen im Umgang mit Peking befasst und eine gemeinsame Position finden will, ist ein großer Fortschritt.
Drei Punkte sind mit Blick auf die deutsche Wirtschaft jetzt wichtig:
Erstens muss Deutschland klarere Grenzen für chinesische Investitionen hierzulande setzen. Peking wehrt sich dagegen vehement, dabei praktiziert China das selbst seit Jahrzehnten. Das deutsche Außenwirtschaftsgesetz wurde bereits verschärft, aber das aktuelle Beispiel des Hamburger Hafens zeigt, dass das nicht reicht.
China hat sein strategisches Interesse an dem Hafen längst dadurch offenbart, indem es sich systematisch über seine Staatsunternehmen in europäische Häfen einkauft. Trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, dass die Bundesregierung den Verkauf eines Anteils an dem Containerterminal an die Volksrepublik genehmigt. Es wäre ein Fehler. Die Tendenz, solche wegweisenden Entscheidungen von aktuellen Stimmungslagen oder Partikularinteressen abhängig zu machen, sollte ein Ende haben.
Zweitens muss die deutsche Wirtschaft ihre Lieferketten und Abhängigkeiten systematisch überprüfen. Bei Seltenen Erden, ein strategisches Metall, ist Deutschland zu mehr als 93 Prozent auf Lieferungen aus China angewiesen.
Immer da, wo es solche Abhängigkeiten von kritischen Ländern gibt, müssen sich Unternehmen zusammenschließen, um diese zu reduzieren. An mancher Stelle muss auch der Staat mit Investitionen unterstützen.
Drittens, und das ist in einer Marktwirtschaft wohl das schwierigste der drei Kriterien einer Chinastrategie: Die große Chinaabhängigkeit einzelner großer Konzerne muss reduziert werden.
Firmen wie Daimler oder VW haben sich gefährlich eng an ein autokratisches System gebunden. Weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Folgen eines Totalausfalls ihres Chinageschäfts – etwa im Fall eines Kriegs um Taiwan – auch hohe Kosten für die deutsche Volkswirtschaft verursachen würden, ist es eben nicht nur eine unternehmerische Entscheidung, wenn dieses hohe Engagement beibehalten wird. Die Begrenzung von Investitionsgarantien, wie sie im Wirtschaftsministerium diskutiert wird, ist ein erstes Signal, dürfte aber Großkonzerne nicht davon abhalten, weiter zu investieren.
Bei allem gilt: Die Bundesregierung muss europäisch denken und handeln. China hat ein Interesse daran, dass Europa zersplittert und sich klein macht. Das wäre nicht nur im Interesse Deutschlands fatal.
Die Autorin ist Politikkorrespondentin in Berlin. Zuvor war sie drei Jahre lang China-Korrespondentin des Handelsblatts in Peking.