Kommentar: Europa sendet ein Signal der eklatanten Schwäche


Man muss sich das einmal vor Augen führen: Da lädt Emmanuel Macron ebenso alarmiert wie öffentlichkeitswirksam zu einem Notgipfel nach Paris ein. Der französische Präsident beschränkt die Teilnahme auf einen ausgewählten Kreis von EU-Mitgliedsländern, die anderen sind verständlicherweise alles andere als begeistert. Macron war es offensichtlich wichtig, nach dem Affront von München möglichst schnell ein möglichst starkes Signal der Entschlossenheit über den Atlantik zu senden. Es war ein Signal der eklatanten Schwäche.
Denn das Ergebnis, das der Gipfel produzierte, ist mit „heißer Luft“ noch wohlwollend umschrieben:
Nicht einmal einig bei der Entrüstung über Trumps Dreistigkeit
Einigkeit herrscht allenfalls in der Entrüstung darüber, dass der US-Präsident so unverfroren agiert und Europa in einer Art und Weise marginalisiert, wie es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr vorgekommen ist. Und selbst diese Empörung wird in der Europäischen Union (EU) längst nicht von allen geteilt. Ungarns Premier Viktor Orban etwa, der in der EU bisweilen als Agent Moskaus agiert, dürfte Trumps demütigender Umgang mit den Europäern erheitern.
Der Grundgedanke des Ansatzes von Macron freilich, ein europäisches Verteidigungsbündnis der Willigen zu schaffen, ist nicht falsch. Im Gegenteil: Die Idee, über den Schengenraum und die Euro-Zone hinaus einen sicherheitspolitischen Kern parallel zu den EU-Strukturen zu entwickeln, ist in dieser Notsituation ein Akt der Notwendigkeit. Es müsste aber ein offener Prozess sein. Jeder, der mitmachen will, sollte willkommen sein. Das verschafft einer solchen Runde die notwendige Legitimation, weil sie eben nicht – wie das Treffen in Paris – ausgrenzend ist.
Dazu gehört übrigens zwingend die Atommacht Großbritannien, auf deren diplomatische, außenpolitische und auch militärische Tradition die EU mehr denn je angewiesen ist. Es ist auch kein Zufall, dass es die Briten waren, die sich als Erste bereit erklärten, Truppen zur Sicherung eines möglichen „Friedens“ – nennen wir es besser Waffenstillstand – zur Verfügung zu stellen.
Falsch oder geradezu fahrlässig war es, diesen Gipfel ad hoc einzuberufen und unter dem Motto „Wir haben nach München jetzt verstanden“ Erwartungen zu wecken, die nicht zu erfüllen waren. Nicht nur, dass sich die Nichteingeladenen als EU-Mitglieder zweiter Klasse fühlen mussten. Selbst die Eingeladenen waren in zentralen Fragen zerstritten.
Die hektische Einberufung dieses Gipfels als unprofessionell zu bezeichnen, ist vor diesem Hintergrund noch schmeichelhaft – und man muss sich nicht wundern, dass ein Donald Trump Europa nicht ernst nimmt, es in geopolitisch hochbrisanten Fragen, die vor allem die Europäer betreffen, übergeht, ihm allenfalls die Rolle des Zahlmeisters zubilligt und es zum Garanten eines wie auch immer gearteten „Friedens“ degradiert. Eines „Friedens“, dessen Ausgestaltung Trump selbst – und schlimmer noch: Putin – weitgehend bestimmt.
In einem Punkt hat Macron allerdings recht: Die Not könnte kaum größer sein. Selten war die Lage der Europäischen Union so ernst, aber selten war gleichzeitig die Unfähigkeit, daraus Konsequenzen zu ziehen, so offensichtlich.
Während die Europäer sich also Gedanken darüber machen, wie sie die Listen mit den militärischen Leistungen zur Absicherung des Friedens auszufüllen haben, die Trumps Diplomaten anfertigen ließen, schaffen der russische und amerikanische Außenminister in Riad schon mal Fakten. Sie bereiten in Saudi-Arabien den Gipfel von Putin und Trump vor.

Schon jetzt steht fest: Es wird ein historischer Gipfel sein – unabhängig davon übrigens, ob er so etwas wie einen stabilen Frieden in der Ukraine bringt, was sich mit guten Gründen bezweifeln lässt.
Historisch wird der Gipfel deshalb sein, weil die Überschneidungen zwischen der ehemaligen Führungsmacht des freien Westens und dem russischen Regime größer zu sein scheinen als die zwischen den transatlantischen Partnern. Historisch wird er sein, weil Putin mit Fug und Recht behaupten kann, dass er auf Augenhöhe mit der Supermacht Amerika steht. Und schließlich wird er historisch sein, weil er Symbol für eine neue Weltordnung sein wird, in der mächtige Autokraten jenseits von völkerrechtlichen Befindlichkeiten ihre Einflusszonen sichern und in der das Recht des Stärkeren gilt und nicht mehr die Stärke des Rechts.
Putin ist der Sieger auf ganzer Linie
Trump ist auf dem besten Weg, einem ebenso geschichtsrevisionistischen wie imperialistischen Russland zu alter Größe zu verhelfen. Ohne Zweifel ist der russische Präsident seinem amerikanischen Amtskollegen in Sachen politischer Strategie weit überlegen.
Wer etwa glaubt, dass hinter Trumps Annäherung an Moskau das Kalkül steckt, Russland von China zu lösen, irrt. Putin versteht es gut, zwischen den Interessengegensätzen beider Rivalen zu balancieren. Und die Volksrepublik, die das Ganze aus sicherer Distanz beobachtet, gehört ohnehin zu den strategischen Gewinnern der derzeitigen geopolitischen Lage – und sei es nur, dass Trump die Europäer mit seiner aggressiven Politik gegenüber Verbündeten und seinem Verrat an westlichen Werten zu mehr Äquidistanz zwischen Washington und Peking zwingt.





Europa allerdings gehört mitsamt der Ukraine zu den großen Verlierern der Politik Trumps. Und wer immer noch behauptet, Europa sei auf Trump zwei vorbereitet, hat die Dimension der amerikanischen Revolution nicht verstanden.
„America first“ allerdings könnte am Ende „America alone“ bedeuten – mal abgesehen von ein paar Komplizen aus der Gruppe der Autokraten dieser Welt. Auf der Strecke bleibt ein Westen, der weiß Gott nicht immer nach seinen eigenen Werten handelte, was allerdings mitnichten bedeutet, dass seine Werte die falschen sind.
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