Kommentar: Gefangen in Trumps handelspolitischer Scheinwelt


Hat Donald Trump den Wirtschaftsnobelpreis verdient? Das meint jedenfalls sein Berater Peter Navarro. Trump habe der Welt mit seinen Strafzöllen gezeigt, wie ein fairer Handel ökonomisch funktioniere, sagt der Ökonom, der den Rundumschlag des US-Präsidenten gegen Amerikas Handelspartner mit ausgearbeitet hat: „Mit allem, was er tut, hat er seine Kritiker widerlegt.“
Auf den ersten Blick scheint Trumps Apologet recht zu haben: Die Handelspartner der USA, inklusive der EU, sind wie Dominosteine einer nach dem anderen umgefallen und haben sich dem Zolldiktat aus Washington gebeugt.
» Lesen Sie auch: Trumps Triumph – Kann die Handelspolitik des US-Präsidenten tatsächlich langfristig erfolgreich sein?
Die US-Wirtschaft ist durch den Zollkrieg bislang weder, wie viele Ökonomen prophezeit hatten, in eine Rezession gestürzt noch von einem Inflationsschub heimgesucht worden. Und die Investoren an den Finanzmärkten haben sich zwar geschüttelt, danach aber den breit aufgestellten Börsenindex S&P 500 auf ein neues Rekordhoch getrieben.
Wenn Trump also an diesem Donnerstag die letzten Importzölle der US-Regierung gegen nahezu 100 Länder in Kraft setzt, dann hat sich der Handelskrieger im Weißen Haus nicht nur im Zollpoker mit seinen Drohungen und Erpressungen durchgesetzt. Trump hat in nur drei Monaten auch das bislang die Weltwirtschaft dominierende Primat des Freihandels durch ein merkantilistisches Zolldiktat ersetzt, das die Handelsströme und damit die internationale Arbeitsteilung für viele Unternehmen stark verändern wird.
Liberale Irrtümer
Er hat damit jene Welthandelsordnung auf den Kopf gestellt, die Amerika nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den bitteren Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise selbst geschaffen hatte. Und die auf der Überzeugung beruhte, dass Freihandel den Wohlstand aller mehrt und protektionistische Zölle ins wirtschaftliche Verderben führen. Landet diese liberale Lehre jetzt genauso im Mülleimer der Geschichte wie der naive Glaube, die Geschichte sei mit dem Mauerfall und dem Sieg der liberalen Demokratie zu Ende gegangen?

Das sind unbequeme Fragen für alle, die Trumps „Bullying“ zu Recht als Willkür eines hemmungslosen Machtpolitikers anprangern und seinen Zoll-Rundumschlag als nationalistischen Raubzug durchschaut haben. Entzaubern lässt sich der angebliche Paradigmenwechsel in der Weltwirtschaft durch die „Trumponomics“ jedoch nur, wenn man nicht nur deren ökonomische Schwächen offenlegt, sondern auch ihre politischen Absichten enthüllt. Beides geht oftmals Hand in Hand.
Wie eng Politik und Ökonomie bei Trump miteinander verbunden sind, hat gerade Erika McEntarfer erfahren. Der US-Präsident feuerte die Chefin des Büros für Arbeitsmarktdaten kurzerhand, nachdem sie berichtet hatte, dass die Beschäftigung in den USA nicht mehr so stark wächst und in der Industrie sogar zurückgeht.
Dabei sind die Bremsspuren auf dem Arbeitsmarkt nicht das einzige Warnsignal dafür, dass der Anstieg der US-Importzölle von durchschnittlich 2,5 auf mehr als 18 Prozent Amerika und dem Rest der Welt mehr schaden wird, als Trump wahrhaben will. Die Verbraucherpreise in den USA und insbesondere die Importpreise für Haushaltsgüter sind nach Berechnungen der Denkfabrik Yale Budget Lab durch die Strafzölle höher und das Wirtschaftswachstum ist niedriger, als es ohne die Belastungen ausgefallen wäre.
Zur ökonomischen Wahrheit gehört auch, dass Trump bewusst oder unbewusst die Welt darüber in die Irre führt, wer am Ende die Kosten für seine Importzölle tragen muss. Nach Berechnungen der Investmentbank Goldman Sachs entfallen rund vier Fünftel der Lasten auf Unternehmen und Verbraucher in den USA. Ausländische Exporteure schultern demnach nur etwa knapp 20 Prozent.
Zwei Gesichter der Globalisierung
Das deckt sich mit den bisherigen Halbjahresergebnissen der großen US-Unternehmen. Während die vom Handelskrieg verschont gebliebenen „Big Tech“-Firmen Rekordgewinne einfahren, haben bislang über die Hälfte der im Börsenindex S&P 500 notierten Unternehmen sinkende Profitmargen gemeldet. Viele davon kommen aus der Industrie, die Trump angeblich schützen will. Das Ausmaß lässt sich zum Beispiel in der Bilanz der US-Autobauer Ford und GM ablesen, deren Ergebnisse im zweiten Quartal durch die Zölle mit bis zu einer Milliarde Dollar belastet wurden.
Wenn Trumps Zölle also am Ende selbstschädigend sind, wer hat dann gewonnen? Das Verzwickte im internationalen Handel ist, dass Handelsbilanzen sich nicht wie eine Fußballtabelle lesen lassen, wo Überschüsse als Siege und Defizite als Niederlagen zählen. Die ökonomische Einsicht, dass internationaler Handel den Wettbewerb fördert, die Kosten senkt und den Wohlstand hebt, bleibt richtig.






Damit ist jedoch noch nichts über die Verteilung dieses Wohlstands gesagt. Es ist eben auch richtig, dass die Globalisierung in vielen Industrieländern „Verlierer“ produziert hat, die ihre Jobs, Einkommen und Identität verloren haben und in Trump einen Heilsbringer sehen. Auch wenn seine Rezepte ihnen wirtschaftlich mehr schaden als nützen.
Europas „Niederlage“ besteht also nicht darin, dass die EU am Ende einen Importzoll von 15 Prozent akzeptiert hat. Europa hat kapituliert, indem es sich Trumps merkantilistischem Weltbild gebeugt hat und ihm kein Narrativ entgegensetzen konnte, das den Freihandel mit den Schattenseiten der Globalisierung versöhnt.
Mehr: Wie die US-Zölle die EU-Pharmabranche treffen – Branchenanalysten weisen auf Zusatzkosten hin






