Kommentar: Markus Söders politische Bilanz ist überraschend dünn

Bild: Burkhard Mohr
Noch vor drei Jahren erschien Markus Söder vielen Deutschen als Karikatur eines Karrierepolitikers. Er erinnerte an den Großwesir Isnogud aus der gleichnamigen Comicserie, der unablässig ausruft, er wolle endlich „Kalif werden anstelle des Kalifen“.
Interessiert und bisweilen auch belustigt verfolgte die Republik die Versuche von Großwesir Söder, den damaligen Kalifen, Entschuldigung: Ministerpräsidenten Horst Seehofer vom CSU-Vorsitz und aus der bayerischen Staatskanzlei zu verdrängen. Seehofer beschrieb einst Söders unermüdliches Stuhlgesäge mit dem wunderbaren Begriff der „Schmutzeleien“.
Im März 2018 hatte es der Großwesir endlich geschafft: Er löste Seehofer erst als Ministerpräsidenten ab und wenig später als Parteivorsitzenden. Der einstige Kalif Seehofer verzehrt seitdem sein politisches Gnadenbrot als Innenminister in Berlin. Es schien, als habe Söder mit diesem Coup seine politische Endausbaustufe erreicht.
Doch kurz darauf begann die wundersame Verwandlung des Markus Söder zur größten Kanzlerhoffnung der Union. Laut ARD-Deutschlandtrend vom Oktober sehen ihn 52 Prozent der Deutschen als guten Kanzlerkandidaten und sogar fast drei Viertel der Anhänger von CDU und CSU.
Die anderen Aspiranten auf diesen Job landen weit dahinter: Friedrich Merz bei 27 Prozent der Bundesbürger und 45 Prozent der Unionsanhänger. Armin Laschet und Norbert Röttgen rangieren noch hinter Merz.
Wenn die Union bei der Bundestagswahl im Herbst 2021 das Kanzleramt verteidigen will, ist sie gut beraten, Söder zu ihrem Spitzenkandidaten zu machen. Nach dem derzeitigen Stand der Umfragen gäbe es dann nur noch wenig, was Söder davon abhalten könnte, als erster Kanzler der CSU in die Geschichte einzugehen.
Um es in der Sprache der Geschäftswelt auszudrücken: Markus Söder hat einen sauberen Turnaround hingelegt. Aus dem schmutzelnden Karrieristen wurde der Mann, dem die Menschen Merkels Nachfolge zutrauen.
An Söders „track record“ als Ministerpräsident kann diese Wandlung nicht liegen, der mutet eher bescheiden an.
Wie sollte es auch anders sein, schließlich hat Söder dieses Amt erst seit gut zweieinhalb Jahren inne. Das sichtbarste Zeichen seiner Regentschaft ist das Kruzifix, das nun in jeder bayerischen Amtsstube zu hängen hat.
Kompromissloser Kurs
Söders Blitzaufstieg zum Reservekanzler wäre ohne die Coronakrise undenkbar gewesen. Bereits seit die ersten Fälle in Bayern auftraten, positionierte sich Söder als kompromissloser Hardliner, dem Infektionsschutz im Zweifel wichtiger ist als das ein oder andere Grundrecht.
Das gilt auch im zweiten Lockdown: In einigen besonders stark betroffenen bayerischen Städten und Landkreisen dürfen die Bürger ihre Wohnungen derzeit nur noch aus triftigem Grund verlassen.
Mit diesem kompromisslosen Kurs stellte sich Söder in den ersten Monaten der Pandemie vor allem gegen Armin Laschet. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen haderte immer wieder öffentlich mit allzu strengen Beschränkungen für Geschäfte und Unternehmen. Genützt hat es ihm politisch nichts.
Politiker, die differenziert Infektionsrisiken gegen Bürgerrechte oder gar ökonomische Schäden abwägen, kommen beim Gros der Deutschen nicht gut an. Söder wiederum mag von der ehrlichen Angst vor der Pandemie getrieben werden, doch er hat auch taktisch aufs richtige Pferd gesetzt.
Das Kuriose dabei: Söder inszeniert sich zwar als oberster Corona-Sheriff der Republik, Bayern hat das Virus aber keineswegs besser im Griff als andere Bundesländer. Auf den einschlägigen Corona-Landkarten erstrahlt Bayern tiefrot. Fast überall im Freistaat liegt die Zahl der Neuinfektionen der letzten sieben Tage über 100 pro 100.000 Einwohner, bisweilen um ein Vielfaches.
Nachweis steht noch aus
Zum Vergleich: Schleswig-Holstein kommt in keiner einzigen Region auf mehr als 90 Fälle pro 100.000 Einwohner. Selbst im dicht besiedelten Stadtstaat Hamburg sind es nur 67 Neuinfektionen.
Sicher, diese Unterschiede zwischen den Bundesländern haben viele Ursachen. Auf die meisten hat die Bayerische Staatskanzlei keinen Einfluss. Sehr wohl in Söders Verantwortung gehören aber die Probleme bei den Coronatests. Als einziges Bundesland bietet Bayern seinen Bürgern einen kostenlosen Test, auch wenn keine Symptome vorliegen.
Tatsächlich kam es bei dieser offensiven Strategie immer wieder zu Pannen. Im August musste die bayerische Staatsregierung einräumen, dass Dutzende von positiven Corona-Testergebnissen nicht mehr den getesteten Personen zugeordnet werden konnten – jeder Einzelne ein potenzieller Superspreader.






Markus Söder hat zur Genüge bewiesen, dass er virtuos auf der Klaviatur der Macht- und Symbolpolitik zu spielen vermag. Aber kann er auch Ergebnisse liefern? Dieser Nachweis steht noch aus.
Das ist nichts Ehrenrühriges für einen Ministerpräsidenten, der bislang nicht einmal eine Amtszeit komplettiert hat. Für den Favoriten als Nachfolger von Angela Merkel allerdings ist Söders politische Bilanz ungewöhnlich dünn.
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