Kommentar: Pekings Schweigen ist lauter als jede Krise

Das delikate Kapitel Evergrande ist an der Börse beendet. Am Montag hat die Hongkonger Börse – wie angekündigt – die Aktien des hochverschuldeten Immobilienriesen von der Liste gestrichen. Damit verschwindet ein Name vom Parkett, der einst für den Aufstieg einer ganzen Branche stand und dann zum Sinnbild für ihren Niedergang wurde. Mehr Symbol geht nicht, mehr Fallhöhe auch nicht.
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Denn noch vor wenigen Jahren galt Evergrande als Star unter Chinas Bauträgern: Apartmenthäuser in Serie, Wachstum auf Pump, Milliardengewinne. Im Konkurrenzkampf mit Rivalen wie Country Garden – das Unternehmen meldete vor wenigen Tagen Milliardenverluste – galt das Motto: höher, schneller, weiter.
Doch von diesem Glanz ist nichts mehr übrig: Der Bauträger sitzt auf mindestens 300 Milliarden Dollar Schulden, die Gläubiger sind weltweit verstreut, und viele chinesische Familien warten noch immer auf ihre vorbezahlten, aber bislang nicht gelieferten Wohnungen. Von ihnen hört man heute kaum noch etwas.
Chinas Staats- und Parteiführung hüllt das für sie unliebsame Thema in Schweigen, Erfolgsmeldungen aus den Boom-Sektoren der Volksrepublik sind ja auch viel schöner. Die Börse kann einen Konzern zwar auslisten, das strukturelle Problem aber bleibt. Denn die Immobilienkrise ist noch nicht ausgestanden – und es spricht vieles dafür, dass es noch lange dauern wird.
Die Gesundung des Sektors wird Jahre dauern
Optimisten hoffen auf eine Stabilisierung der Immobilienpreise bis 2026. Realisten aber gehen davon aus, dass die Gesundung des Sektors mindestens drei, eher fünf bis zehn Jahre beanspruchen wird. Zu groß sind die Folgen: Die Preise fallen weiter, wie sich zuletzt im ersten Halbjahr gezeigt hat, Verkäufe brechen ein, Projekte bleiben liegen, und Lokalregierungen verlieren ihre wichtigste Einnahmequelle aus Landverkäufen.
Die Regierung versucht gegenzusteuern: Banken sollen Kredite verlängern, staatliche Konzerne Projekte retten, Stadtregierungen lockern die Regeln für Käufer. Doch all das wirkt bislang eher verzweifelt, ein funktionierendes Geschäftsmodell für die Branche zeichnet sich nicht ab.
Die Immobilienwirtschaft ist nach Ansicht Xi Jinpings keine Zukunftsbranche, die Hilfe kommt deshalb in homöopathischen Dosen. Ein Blick in die zahlreichen Immobilienagenturen, die es in China an fast jeder Ecke gibt, genügt: Wohnungen werden einem buchstäblich hinterhergeworfen.
Das Börsenende von Evergrande markiert daher keinen Schlussstrich, sondern nur einen Zwischenschritt in der massivsten Aufräumphase in Chinas Wirtschaft seit Jahrzehnten – eine Phase, die in vielen Ländern das Vertrauen in die Regierung erschüttern würde. In China aber greift eine andere Logik: aussitzen, verschweigen, ablenken. Tragisch nur, dass es, wie so häufig, funktioniert. Evergrande ist von der Börse verschwunden – die Krise aber bleibt.
Erstpublikation: 25.08.2025, 18:48 Uhr.