Kommentar: Scholz‘ Gegner heißt nicht Laschet, sondern Baerbock

Der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten steckt in einer Stimmungsfalle.
„Sie oder er?“ So textete die „Zeit“ vergangene Woche auf ihrer Titelseite den Bundestagswahlkampf an und beschrieb den Zweikampf zwischen CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet und Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock.
„Laschet versus Baerbock – was steht auf dem Spiel?“ überschrieb ein Ökonom eine Analyse. Und ein österreichischer Journalist fragte nach der Kür Baerbocks den Autor dieser Zeilen, ob die SPD auch schon einen Kanzlerkandidaten aufgestellt habe.
Die drei Anekdoten stehen stellvertretend für das Problem des SPD-Kanzlerkandidaten: Olaf Scholz wirkt derzeit abgemeldet. In den Umfragen liegen die Sozialdemokraten so weit hinten, dass der Vizekanzler im Rennen ums Kanzleramt streckenweise nicht mal mehr vorkommt.
Scholz steckt in der Stimmungsfalle. Und wenn er da nicht bald rauskommt, ist der Zug ins Kanzleramt abgefahren, bevor Scholz ihn überhaupt in Bewegung gesetzt hat.
Denn sollte der Abstand der SPD zu den Grünen in Umfragen auch bis in den Sommer hinein so groß bleiben, droht eine für Scholz verheerende Grundstimmung zu entstehen: Wer einen CDU-Kanzler verhindern will, muss Grün wählen. Hat sich solch eine Stimmung erst einmal gesetzt, ist sie kaum noch zu drehen. Scholz gerät deshalb unter Zugzwang.
Schon seit Jahresbeginn fragen Parteifreunde hinter vorgehaltener Hand immer wieder: „Wo ist Scholz?“ Der Kanzlerkandidat dürfe nicht nur geräuschlos regieren, sondern müsse in die Offensive gehen.
Scholz hat das Drängen stoisch ignoriert. Monate vor der Wahl inmitten einer Pandemie Wahlkampf machen, in der die Menschen vieles bewegt, aber sicher nicht der Wahlkampf? Da wäre er ja schön blöd. Diese Strategie war nachvollziehbar. So früh Pulver zu verschießen hatte keinen Sinn, auch deshalb nicht, weil seine Gegner gar nicht feststanden.
SPD muss Wahlkampf gegen die Grünen machen
Nach Ausrufen der beiden anderen Kanzlerkandidaten droht sich aber mit jedem Tag, der vergeht, das Bild des chancenlosen Scholz zu verfestigen. Zu lange kann er deshalb mit seiner Wahlkampfoffensive nicht mehr warten.
Das noch größere Problem ist aber ein anderes: Rund 20 Prozent könnten für Scholz in der neu sortierten deutschen Politiklandschaft tatsächlich reichen, um Bundeskanzler zu werden – aber nur, wenn er vor den Grünen liegt. Scholz’ Hauptgegner heißt deshalb nicht Laschet, sondern Baerbock.


Zum ersten Mal muss die SPD damit im Bund Wahlkampf gegen die Grünen machen. Das wird ein heikles Unterfangen. Beide Parteien unterscheiden sich nicht fundamental. Und, auch das gehört zur Wahrheit: Angriffe eines älteren Mannes auf eine jüngere Frau können auch nach hinten losgehen, Scholz wird eine Balance finden müssen.
Bislang fährt die SPD gegenüber dem natürlichen Koalitionspartner noch den üblichen Kuschelkurs. Will Scholz ins Kanzleramt, muss er seine grünen Freunde als Gegner begreifen.
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