1. Startseite
  2. Meinung
  3. Kolumnen
  4. Rentenreform: Was lange währt, wird nicht immer gut

RentenreformWas lange währt, wird nicht immer gut

Stabilität und Vertrauen in die Rentenversicherung erfordern eine zukunftsorientierte, fiskalisch nachhaltige Politik. Derzeit erleben wir das Gegenteil, doch es könnte noch anders kommen.Bert Rürup 05.12.2025 - 12:11 Uhr Artikel anhören
Ältere Menschen auf einer Restaurant-Terrasse: Höhepunkt des Wohlstandsniveaus überschritten. Foto: DEEPOL by plainpicture

Düsseldorf. Aller Voraussicht nach wird der Bundestag am heutigen Freitag das umstrittene Rentenpaket der Bundesregierung verabschieden. Der auch von mir unterzeichnete Aufruf von Rentenexperten und führenden Ökonomen an die Parlamentarier, genau dies nicht zu tun, dürfte dennoch nicht vergebens gewesen sein.

So ist zwar davon auszugehen, dass das zwischen den Unionsparteien und der SPD vereinbarte Rentenpaket ebenfalls problemlos den Bundesrat passieren dürfte sowie vom Bundespräsidenten unterzeichnet und zum Jahresbeginn in Kraft treten wird. Doch ob der Herzenswunsch der SPD und insgeheim wohl auch von Teilen der CDU/CSU in Erfüllung gehen wird, das Rentenniveau bis über die nächste Bundestagswahl hinaus bei 48 Prozent zu halten, ist damit keineswegs sicher.

Schließlich steht es jedem Bundestag frei, Gesetze wieder zu ändern. Erinnert sei nur an die erste Regierung des Sozialdemokraten Gerhard Schröder, als zunächst der von der CDU 1997 in die Rentenformel eingefügte „demografische Faktor“ auf Druck des SPD-Parteigenossen  Oskar Lafontaine eliminiert wurde – um mit der Rentenreform 2004 einen in der Wirkung sehr ähnlichen „Nachhaltigkeitsfaktor“ einzuführen.

Neues Rentenpaket führt zu weiterer Verschiebung der Lasten auf die Jüngeren

Ohne jeden Zweifel verschärft dieses neue Rentenpaket einschließlich Mütter- und Aktivrente die demografisch bedingten Probleme unseres Rentensystems in eklatanter Weise. Es bedingt eine weitere Lastenverschiebung auf die nachwachsenden Generationen, die bereits heute unter steigendem finanziellen Druck stehen.

Die von den „jungen Wilden“ in der Unionsfraktion – wenn auch ziemlich spät – angezettelte Debatte hat nun aber dazu geführt, dass eine technische Kennziffer in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt ist, die jedoch wenig bis nichts darüber aussagt, wie hoch der Zahlbetrag einer Rente ist: das Rentenniveau. Diese Kennziffer gibt entgegen der weitverbreiteten Meinung keine Auskunft darüber, wie hoch eine Rente im Vergleich zu den Arbeitseinkommen der letzten Erwerbsjahre ist – also wie groß eine etwaige Einkommenslücke zum entfallenen Arbeitseinkommen ausfällt.

» Lesen Sie auch: Jetzt live: Bundestag entscheidet über Rentenpaket – Beratung vor Abstimmung

Das Rentenniveau bezieht sich nämlich auf einen idealtypischen Rentner, dessen Anwartschaften einem fiktiven Versicherten entsprechen, der 45 Jahre stets zum Durchschnittslohn sozialversicherungspflichtig beschäftigt war. Das Verhältnis seiner „Eckrente“ im Vergleich zum aktuellen Durchschnittslohn beziffert das Rentenniveau.

Um dem Risiko der Altersarmut zu begegnen, wäre es deutlich zielgenauer, die 2021 eingeführte Grundrente auszubauen.

Ohne die neue Haltelinie würde dieser Wert von heute 48 Prozent bis zum Jahr 2031 auf etwa 47 Prozent sinken. Die Renten würden damit aber nicht – wie in der politischen Diskussion gern behauptet – gekürzt, sondern lediglich etwas langsamer als die Löhne steigen. Der Eckrentner bekäme infolge der Haltelinie im Jahr 2031 eine um etwa 18 Euro höhere Monatsrente.

Nun profitieren Rentenbezieher umso stärker von einem höheren Rentenniveau, je höher ihre Rente ist. Eine Anhebung des Rentenniveaus ist daher denkbar ungeeignet, um Altersarmut zu vermeiden – zumal bedürftige Bezieher niedriger Renten einen Anspruch auf Grundsicherung haben, mit der Folge, dass für diesen Personenkreis das Rentenniveau kaum relevant ist. Um dem Risiko der Altersarmut zu begegnen, wäre es deutlich zielgenauer, die 2021 eingeführte Grundrente auszubauen.

Aufruf

„Rentenpaket zurückziehen!“ – Deutschlands Top-Ökonomen appellieren an die Koalition

Die in den vergangenen Wochen geführte Debatte und insbesondere die über ein Jahrzehnt aufsummiert außerordentlich hoch erscheinenden staatlichen Zuschüsse zur Rentenversicherung dürften in großen Teilen der Bevölkerung zu der Erkenntnis geführt haben, dass es rentenpolitisch so kaum weitergehen könne. Um es mit den Worten von SPD-Legende Franz Müntefering auszudrücken: „Da muss man kein Mathematiker sein. Da reicht Volksschule Sauerland, um zu wissen: Wir müssen irgendetwas machen.“

Fakt ist, dass die deutsche Wirtschaft über den Zeitraum der vergangenen sechs Jahre stagniert und das Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren nur dank immenser schuldenfinanzierter Staatsausgaben die Nulllinie überschreiten dürfte. Relevante Teile der einst prestigeträchtigen deutschen Industrie wie nicht zuletzt die  Automobilbranche sind auf Dauer verloren. Die Arbeitslosigkeit steigt moderat, aber unaufhaltsam weiter, während die Sozialabgaben markant zunehmen.

Viele Menschen der nicht selten recht gut situierten geburtenstarken Jahrgänge, der „Boomer“, haben heute erwachsene Kinder und sind erschrocken, welche Bürden die von den Zwängen der Schuldenbremse befreite Große Koalition ihren Nachkommen gerade auflädt. Die meisten von ihnen werden sich noch gut an das Versprechen der Väter der Sozialen Marktwirtschaft erinnern, dass ein stetig steigender Wohlstand dafür sorgen werde, dass es der Kindergeneration stets besser als ihren Eltern gehen werde.

Tatsächlich verfestigt sich derzeit das Bild, dass die „fetten Jahre“ der deutschen Volkswirtschaft vorbei sind. Der Höhepunkt des Wohlstandsniveaus dürfte überschritten sein, wofür nicht zuletzt die Regierungsparteien der zurückliegenden Jahre – CDU/CSU und SPD – verantwortlich gemacht werden.

CSU-Chef Söder wäre ein Coup zugunsten generationengerechterer Renten zuzutrauen

Ein ausgesprochen gutes Gespür für die Stimmung in der Bevölkerung hat Markus Söder bewiesen, der sich derzeit als Fürsprecher von „Boomer“-Müttern inszeniert. Allerdings hat der CSU-Chef keine Scheu, seine Meinung auch diametral zu verändern – erinnert sei nur an die doppelte 180-Grad-Wende beim Thema Atomkraft.

Vor allem aber nutzt der bayerische Ministerpräsident jede sich bietende Chance, seine Ambitionen auf das Amt des nächsten Bundeskanzlers zu signalisieren. Schließlich wird Kanzler Friedrich Merz bei der nächsten Bundestagswahl, die spätestens im März 2029 ansteht, fast 74 Jahre alt sein.

Rentenpolitik

Die Rente war mal sicher – Wie das System aus dem Gleichgewicht geriet

Söders jüngste Worte im Rentenstreit lassen daher aufhorchen: „Die Anliegen der Jungen sind (...) sehr berechtigt und werden von einem Großteil der Bevölkerung geteilt. (…) Für uns ist daher klar: keine Politik zulasten der jungen Generation.“

Somit könnte es aus seiner Sicht durchaus opportun erscheinen, sich als möglichen Merz-Nachfolger sowie als Verfechter nachhaltiger Staatsfinanzen und solide finanzierter Sicherungssysteme zu inszenieren – und das nicht zu Unrecht: Schließlich kommt der Freistaat Bayern in den Jahren 2026 und 2027 laut Haushaltsplan ohne neue Schulden aus. „Unsere Philosophie ist: investieren, konsolidieren, reformieren“, sagt der Ministerpräsident mit stolzer Brust.

Verwandte Themen SPD CDU Markus Söder Bundestagswahl Gerhard Schröder Altersvorsorge

Es wäre daher ein echter Söder-Coup, sich im Sommer nächsten Jahres den mutmaßlichen Empfehlungen der neuen Rentenkommission von Einschnitten anzuschließen. So könnte er beispielsweise anbieten, die frühestens 2027 fließenden neuen Mütterrenten im Sinne der Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit zu opfern, sofern die SPD bereit wäre, auf die von ihr einer Monstranz gleich hochgehaltene Haltelinie beim Rentenniveau zu verzichten.

Da sich zwischenzeitlich in weiten Kreisen der Bevölkerung die Erkenntnis ausbreitet, dass es echter struktureller Reformen statt klientelspezifischer Verbesserungen bedarf, dürften dem offenen Unmut von bis zu zehn Millionen potenziellen „Mütterrentnerinnen“ zumindest eine stille Zustimmung vieler der übrigen rund 50 Millionen Wahlberechtigten gegenüberstehen – welch eine Verlockung für einen flexiblen Kanzlerkandidaten!

Mehr: Die Vollkasko-Republik fliegt der Politik um die Ohren

Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
remind.me
Jetziges Strom-/Gaspreistief nutzen, bevor die Preise wieder steigen
Anzeige
Homeday
Immobilienbewertung von Homeday - kostenlos, unverbindlich & schnell
Anzeige
IT Boltwise
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Presseportal
Direkt hier lesen!
Anzeige
STELLENMARKT
Mit unserem Karriere-Portal den Traumjob finden
Anzeige
Expertentesten.de
Produktvergleich - schnell zum besten Produkt