Kommentar: Trumps Anklage ist für Biden kein Grund zum Triumphieren


Für den Moment erfährt der angeklagte Ex-Präsident viel Rückhalt, seine Beliebtheitswerte an der republikanischen Basis steigen.
Nein, nein und nochmals nein. Immer wieder hat US-Präsident Joe Biden in den vergangenen Tagen Fragen zum Trump-Prozess abgeblockt. Offiziell begründet das Weiße Haus die Zurückhaltung damit, sich nicht in laufende Ermittlungen einmischen zu wollen.
Tatsächlich hätte Biden mit einer Stellungnahme nichts zu gewinnen. Die Spenden an Trump sind auf einem Rekordhoch, denn der Vorwurf des Ex-Präsidenten einer „Hexenjagd“ lässt die Wut seiner Anhänger glühen.
Biden will in dieser Gemengelage die Stimmung nicht noch befeuern – auch deshalb, weil die Folgen der Anklage oder gar einer (bisher nicht erfolgten) Festnahme unberechenbar sind. Schließlich wird das erste Mal in der amerikanischen Geschichte ein amtierender oder ehemaliger Präsident strafrechtlich verfolgt.
Gewaltsame Proteste sind ebenso wenig ausgeschlossen wie ein Schuldspruch oder ein Fallenlassen der Anklage. Das Einzige, was Bidens Berater gerade halbwegs kontrollieren können, ist, dass der Präsident bei seinem Tagesgeschäft bleibt.
Damit kann er den US-Amerikanern zeigen, dass er regiert, anstatt im Gerichtssaal zu stehen. Gipfel-Trips und Brückeneinweihungen sehen allemal besser aus als ein Termin zur Fingerabdruck-Abnahme.
Biden ist machtlos gegen Trumps Demokratie-Gift
Doch gleichzeitig ist die Anklage kein Grund zur Euphorie für Biden. Seine Präsidentschaft ist durchwachsen, und dass er wahrscheinlich zur Wiederwahl antreten will, wird unter Demokraten nicht nur positiv aufgenommen.
Zweifel wegen seines hohen Alters bleiben, und diese Verunsicherung hat womöglich einen größeren Einfluss auf die Wählerstimmung als die juristischen Querelen von Donald Trump.
Denn die Strategen sind sich uneins, ob der Prozess gegen den Ex-Präsidenten dessen Chancen auf eine Nominierung durch seine Partei eher erhöht oder schmälert.
Für den Moment erfährt Trump viel Rückhalt, seine Beliebtheitswerte an der republikanischen Basis steigen. Ausgerechnet die selbsternannte Partei von Recht und Ordnung trägt einen mutmaßlichen Verbrecher in einer Sänfte durch den US-Wahlkampf, dabei galt Trump vor Kurzem noch als abgemeldet.
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Wird er trotz oder wegen der Anklage als Kandidat aufgestellt, so betonen viele Experten, sei ein Wahlsieg gegen Biden beinahe ausgeschlossen. Aber wäre es das tatsächlich? Wahr ist, dass Trump ohne den Überraschungseffekt des „Außenseiter-Kandidaten“ von 2016 wenig in der Hand hat und dass er die „Mehrheitsmacher“ der Unabhängigen und Wechselwähler längst vergrault hat.
Wahr ist jedoch auch, dass ein Großteil der US-Bevölkerung ein „Rematch“ Biden gegen Trump als überaus abschreckend empfindet, was sich auf die Wahlbeteiligung auswirken könnte – und damit wären wieder alle Optionen offen.
Wahrscheinlich wird der Strafprozess gegen Trump am Ende irgendeine Rolle im Wahlkampf spielen, womöglich aber keine zentrale. Über die Jahre hat Trump bewiesen, dass er anstellen kann, was er will: Weder das berüchtigte „Access Hollywood“-Tape noch zwei Impeachments, noch Lügen in der Pandemie haben etwas an der Unterstützung eines harten Kerns geändert.


Für Biden ist die Dauerpräsenz von Trump, langfristig betrachtet, keine gute Nachricht. Er begann 2021 sein Amt mit dem Versprechen, eine aufgewühlte Nation befrieden zu wollen. Gelungen ist das kaum, denn wieder einmal bestimmt Trump die Schlagzeilen, wie seit nunmehr sieben Jahren.
Die US-Politik ist in einer Trump’schen Endlosschleife gefangen, Biden ist dagegen ziemlich machtlos. Derzeit deutet wenig darauf hin, dass Biden direkt vom Chaos der Republikaner profitieren kann, und die Lager in den USA stehen sich weiter unversöhnlich gegenüber.





