Kommentar Tschechiens politisches Drama bietet Chancen auf einen Wandel

Der erkrankte tschechische Präsident Milos Zeman könnte zur Schlüsselfigur für die Regierungsbildung nach den Wahlen werden.
Das Drama, das sich in der Tschechischen Republik gerade abspielt, ist an Spannung kaum zu überbieten. Am Samstag hat eine oppositionelle Koalition überraschend klar die Wahlen gewonnen und verfügt nun über eine deutliche Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Doch eine mögliche Regierungsbildung ist blockiert, weil Präsident Milos Zeman schwerkrank im Hospital liegt. Pikanterweise war es just er, der in den letzten Jahren alles unternommen hat, um zu verhindern, dass jemand anders als der bisherige Ministerpräsident Andrej Babis an die Macht kommt. Und als ob dem nicht genug wäre, verlaufen die Konfliktlinien auch noch entlang geopolitischer Fronten.
Die Lage ist so unübersichtlich wie kaum je zuvor – doch sie bietet eine Chance auf positive Veränderungen. Die beiden siegreichen Parteienkoalitionen haben es geschafft, eine politikmüde Bevölkerung in so großer Zahl an die Urnen zu bringen wie seit 1998 nicht mehr. Ein wichtiger Grund war, dass die Tschechinnen und Tschechen ein Zeichen setzen wollten gegen die Vetternwirtschaft und die Polarisierung, für die Babis steht. Es ist ein Resultat, das auch dessen Freund Viktor Orban in Ungarn beunruhigen wird.
Der Gegenwind, mit dem sich das tschechische Establishment konfrontiert sieht, hat mit den Sozialdemokraten und den Kommunisten auch zwei ebenso traditionsreiche wie diskreditierte Parteien aus dem Parlament gefegt: Letztere hatten zwar nie mit dem sozialistischen Regime gebrochen, sich in der neuen Zeit aber doch wohnlich eingerichtet. So überlebte Babis’ Minderheitsregierung über Jahre nur dank der Tolerierung durch die Kommunisten – ein Arrangement, das innen- und außenpolitisch Stillstand bedeutete. Nun fehlen ihm die Partner.
Unumstritten sind zwar auch die beiden bürgerlichen und linksliberalen oppositionellen Koalitionen nicht. So gründete der heute primär als EU-Skeptiker und Coronaleugner auffallende Vaclav Klaus einst die konservative ODS, die stärkste Partei in den beiden Bündnissen. Lange galt sie genauso als Inbegriff der Korruption wie ihre Partnerin, die bürgerliche Top 09, den Tschechen als Verkörperung sozialer Kälte erschien.
Eine stärkere Hinwendung nach Europa ist jetzt möglich
Doch beide Parteien haben sich von ihren Übervätern gelöst und erneuert. Sie ergänzen sich gut mit den Piraten, die zwar frische Ideen und ausgefeilte Konzepte haben, aber kaum erfahrene Leute. Außenpolitisch wäre von einer solchen Regierung, die im Parlament 108 von 200 Sitzen hält, auch eine Stärkung der proeuropäischen und prowestlichen Positionierung Tschechiens zu erwarten: Vor allem Präsident Zeman und die Kommunisten hatten mit ihren Charmeoffensiven gegenüber China und Russland dafür gesorgt, dass das Land stärker in geopolitische Turbulenzen hineingezogen wurde, als dies einem geografisch exponierten Kleinstaat lieb sein kann.
Dass es allerdings so kommt, ist alles andere als sicher. Die Heterogenität der Sieger bedeutet, dass das Bündnis bei Konflikten mittelfristig auch wieder auseinanderbrechen könnte. Kurzfristig die größte Unsicherheit ist allerdings Zeman: Kehrt er zurück, dürfte er seinen Gegnern so viele Steine wie möglich in den Weg legen. Ist er allerdings permanent amtsunfähig, so hat die Opposition alle Trümpfe in der Hand: Den Parlamentspräsidenten, der laut Verfassung den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt, wählt die Mehrheit.
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