Morning Briefing: Falscher Fatalismus – wir sollten die Rente nicht verloren geben

Rentenabstimmung: Jetzt gehts ums Symbolische / Indien: Europas Traum, Putins Partner
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser!
Die für heute angesetzte Abstimmung im Bundestag über das Rentenpaket hat nur noch symbolische Bedeutung. Dank der Ankündigung der Linkspartei, sich zu enthalten, darf die Annahme des Gesetzes als sicher gelten.
Peinlich wäre es natürlich trotzdem für Bundeskanzler Friedrich Merz, sollte die Koalition keine eigene Mehrheit zustande bringen. Merz jedenfalls äußerte gestern eine klare Erwartung:
Dank der Enthaltung der Linkspartei reichen allerdings auch schon 284 Ja-Stimmen. Die Abstimmung und alles, was auf dem Weg dorthin noch geschieht, können Sie in unserem News-Blog verfolgen.

Gerade im Gespräch mit Menschen, die jünger sind als ich, bemerke ich bisweilen eine Art Renten-Fatalismus: Sie haben sich so an die demografische Schieflage im Rentensystem gewöhnt, dass sie ohnehin nicht mehr damit rechnen, in einigen Jahrzehnten eine nennenswerte Rente zu erhalten.
Vielleicht lohnt sich die Erinnerung daran: Das Rentensystem war schon einmal in Schieflage – bis es die Politik wieder auf die Füße stellte.
Dieser Verdienst gebührt sowohl dem zweiten Kabinett Schröder als auch dem ersten Kabinett Merkel. Mit Nachhaltigkeitsfaktor sowie Rente mit 67 machten beide Regierungen das gesetzliche Rentensystem Anfang des Jahrtausends demografiefest. Der Sozialdemokrat Franz Müntefering, Arbeits- und Sozialminister von 2005 bis 2007, erinnert sich:
So geschah es. Doch anschließend verwässerten wechselnde Regierungen die Reformen wieder: Mütterrente, Rente mit 63 und nun die Aussetzung des Nachhaltigkeitsfaktors. Unsere Hauptstadtreporter Barbara Gillmann und Martin Greive haben nachgezeichnet, wie die Rente durch politischen Opportunismus erneut aufhörte, sicher zu sein.

Die gute Nachricht daran: Wenn es Union und SPD einmal gelang, das Rentensystem zu stabilisieren, dann können beide Parteien das erneut tun. Das Rentenpaket, das heute zur Abstimmung steht, ist allerdings ein Schritt in die entgegengesetzte Richtung.
Indien – Europas Traum, Putins Partner
Die größte Hoffnung der Europäischen Union heißt derzeit Indien. Für Europas Unternehmen soll das boomende Schwellenland das sein, was China einmal war: ein gigantischer Absatzmarkt – und noch viel mehr.
Indische Ingenieure und Informatiker sollen in den Tech-Metropolen des Subkontinents jene Programmier- und Entwicklungsarbeit leisten, für die in Europa längst die Leute fehlen. Von indischen Pflegekräften erhofft man sich, dass sie als Zuwanderer die Engpässe im hiesigen Gesundheitswesen lösen. Und politisch sieht Europa in der größten Demokratie der Welt eine Art natürlichen Verbündeten. Soweit die Hoffnungen.
Die Realität erreichte Indien am Donnerstagabend Ortszeit, als die russische Regierungsmaschine auf dem Flughafen Neu-Delhi zum Stehen kam. An Bord: Wladimir Putin.
Der mit internationalem Haftbefehl gesuchte russische Herrscher begann seinen Staatsbesuch in Indien. Modi hieß ihn mit einer Umarmung willkommen. Trotz des Ukrainekriegs hält die Regierung in Neu-Delhi an ihrer „besonderen und privilegierten strategischen Partnerschaft“ mit Russland fest.
Bestes Beispiel: Trotz des Drucks aus den USA hielt Indien die Ölimporte aus Russland in den vergangenen Monaten stabil. Erst für Dezember erwarten Analysten einen Rückgang. Und das ist bei weitem nicht das einzige Thema, bei dem Indien so gar nicht dem Bild der lernwilligen, höflichen Musterdemokratie entspricht. Dafür ist der bevölkerungsstärkste Staat der Welt viel zu selbstbewusst.
Unser Südostasien-Korrespondent Mathias Peer zeichnet in unserem Titel-Report zum Wochenende das Bild einer aufstrebenden Wirtschafts-Supermacht, in der sich viele der ökonomischen Hoffnungen für Europas Unternehmen tatsächlich zu erfüllen scheinen.

Und was die gemeinsamen politischen Interessen angeht: In Brüssel scheint man bereit, eine Partnerschaft auch ohne vollständige politische Übereinstimmung zu akzeptieren. Die Teilnahme Indiens an russischen Militärübungen und der Kauf von russischem Öl seien „Hindernisse“, räumt EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas ein. Doch mehr Abstand zu Indien würde aus ihrer Sicht ein Vakuum schaffen, das dann andere Staaten füllen könnten:
Weg frei für Rechts-Regierung in Tschechien
Zwei Monate nach der Parlamentswahl ist in Tschechien der Weg frei für eine neue Regierung. Nach längerem Zögern hat sich Präsident Petr Pavel bereiterklärt, den rechtspopulistischen Wahlsieger und Milliardär Andrej Babis zum Ministerpräsidenten zu ernennen. Dies werde am kommenden Dienstag geschehen, kündigte das Staatsoberhaupt bei X an.

Zuvor hatte Babis eine Bedingung des Präsidenten erfüllt: Er sollte öffentlich erklären, wie er seinen Interessenkonflikt als Politiker und Besitzer eines Konzerns mit mehr als 250 Firmen lösen wolle. Babis kündigte nun an, dass er seine Agrofert-Holding einem Trust übergeben werde, um den sich ein unabhängiger Verwalter kümmern soll.
Babis hat bereits mit zwei anderen rechten Parteien einen Koalitionsvertrag unterzeichnet, der ihm eine deutliche Mehrheit im tschechischen Abgeordnetenhaus verschafft.
Merz will belgischen Premier überzeugen
Olaf Scholz wurde als Bundeskanzler dafür kritisiert, dass er in Europa zu wenig Führung zeige. Sein Nachfolger versucht genau das. Merz fliegt heute Abend nach Belgien, um im privaten Rahmen mit dem belgischen Ministerpräsidenten Bart De Wever und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu sprechen.
Das Ziel: Belgien soll seinen Widerstand dagegen fallen lassen, in der EU eingefrorenes russisches Vermögen zugunsten der Ukraine zu nutzen. Dagegen sperrt sich De Wever aus Sorge vor rechtlichen Risiken und russischen Repressalien. Ein Großteil des fraglichen Geldes liegt in Belgien, es geht um rund 185 Milliarden Euro. Der Kanzler sagte mit Blick auf seinen Gesprächspartner:
Klingt für mich, als hätte De Wever heute nicht das entspannteste Frittenessen seines Lebens vor sich. Sehr deutlich wies Merz übrigens US-Pläne zurück, das in der EU eingefrorene russische Staatsvermögen an die USA auszuzahlen.
La Dolce Rückerstattung
In Italien gibt es künftig Geld zurück, wenn man auf einer gebührenpflichtigen Autobahn wegen einer Baustelle zu lange im Stau steht. Die neue Regelung tritt im Juni 2026 in Kraft. Die Entschädigung soll über eine App beantragt werden können, in der alle Betreiber von privaten Autobahnen zusammengeschlossen sind.
Autofahrer sollen bereits Geld zurückbekommen, wenn die Fahrtzeit auf einer Strecke von bis zu 50 Kilometern zehn Minuten länger dauert als üblich. Bei einer Verspätung von mindestens drei Stunden infolge von Baustellen muss die gesamte Maut erstattet werden.
Eine Regelung, die mir in Italien besonders reizvoll erscheint, weil sich künftig die Staulänge direkt in die Zahl der zusätzlichen Aperetivos und Gelati am Zielort umrechnen lässt.
Ich wünsche Ihnen einen lebensfrohen Wochenausklang.
Herzliche Grüße,






Ihr
Christian Rickens





