Kommentar: Überlange Verfahren untergraben das Vertrauen in den Rechtsstaat

Fast ein Jahrzehnt nach Bekanntwerden des VW-Dieselskandals endet das Strafverfahren gegen den ehemaligen Konzernchef Martin Winterkorn (78) vorläufig – nicht mit einem Urteil, sondern aus gesundheitlichen Gründen. Was bleibt, ist ein schaler Beigeschmack. Denn der Eindruck drängt sich auf: In Deutschland zieht sich die juristische Aufarbeitung wirtschaftlicher Vergehen so lange hin, dass sie bei älteren Beschuldigten oft im Sande verläuft. Rechtsstaatlich ist das ein Problem.
Natürlich ist es legitim und notwendig, dass ein Beschuldigter verhandlungsfähig ist. Aber das Grundproblem liegt tiefer: Die Ermittlungsverfahren in Deutschland dauern oft viel zu lange. Im Fall Winterkorn brauchte allein die Staatsanwaltschaft viele Jahre, um Anklage zu erheben. Und das ist kein Einzelfall. Ob Cum-Ex, Wirecard oder VW – komplexe Wirtschaftsverfahren geraten hierzulande regelmäßig in eine jahrelange juristische Endlosschleife.
Ein Blick in die USA zeigt, dass es anders geht: Dort wurden zwei VW-Manager bereits 2017 zu Haftstrafen verurteilt – keine zwei Jahre nach dem Auffliegen des Skandals. Auch in anderen spektakulären Fällen zeigt sich die amerikanische Justiz deutlich effizienter. Die Theranos-Gründerin Elisabeth Holmes, die Investoren mit leeren Versprechen über eine revolutionäre Bluttesttechnologie betrog, wurde 2022 zu elf Jahren Haft verurteilt. Und Sam Bankman-Fried, Gründer der Kryptoplattform FTX, stand weniger als ein Jahr nach dem Milliardenbetrug vor Gericht und wurde 2024 zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt.
In Deutschland dagegen scheint es fast normal, dass wirtschaftsstrafrechtliche Verfahren zehn Jahre oder länger dauern – ohne dass es zu einem Urteil kommt. Das ist nicht nur ein Problem für die individuelle Gerechtigkeit, sondern beschädigt das Vertrauen in den Rechtsstaat insgesamt. Ein moderner Rechtsstaat muss schneller sein – sonst spielt er mit seiner Legitimation.
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