Kommentar: Warnung von Fed-Chef Powell: Was heißt bei der Inflation vorübergehend?
Der Fed-Chef steht unter Druck.
Foto: dpaFrankfurt. Das Wort des Jahres an den Kapitalmärkten dürfte „vorübergehend“ werden. Denn fast alle Notenbanker und viele Ökonomen haben immer wieder betont, der Anstieg der Inflation sei „vorübergehend“. Ob es wirklich so ist – genau das ist aber heiß umstritten.
In den USA hat Raphael Bostic, Chef der Fed Atlanta und damit prominenter Geldpolitiker der US-Notenbank (Fed), schon im Oktober „vorübergehend“ als „schmutziges Wort“ bezeichnet, weil er von einem durchaus länger anhaltendem, breiten Preisanstieg ausgeht. Der US-Ökonom Mohamed El-Erian führt seit Monate fast schon einen Kreuzzug gegen die Fed, der er vorwirft, die Inflation nicht ernst genug zu nehmen.
Und jetzt hat Fed-Chef Jerome Powell, quasi nebenbei, die Vokabel „vorübergehend“ gestrichen. Alle, die schon immer alles besser gewusst haben, jubeln, besonders heftig auch auf Twitter. Die Märkte reagieren verschreckt, zumal Powell zusätzlich angedeutet hat, die Notenbank könne ihre Anleihekäufe schneller als bisher geplant beenden – was auch eine frühere Zinserhöhung ermöglichen würde.
War das eine radikale Trendwende? Hat Powell endlich seinen Kritikern recht gegeben?
Bei näherem Hinsehen nicht. Nimmt man es ganz genau, hat er mit der Streichung des umstrittenen Wortes eigentlich nichts neues gesagt.
Ein Wort verändert schleichend seine Bedeutung
Powell hatte schon länger eingeräumt, dass die Inflation hartnäckiger ist als noch vor einigen Monaten erwartet. Ähnlich hat sich auch Christine Lagarde, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) geäußert. Schon länger hat sich gezeigt, dass „vorübergehend“ („transitory“ im Original) ein sehr dehnbarer Begriff ist.
Anfänglich klang es so, als sollte die Inflation sehr schnell vorbei sein. Inzwischen ist klar, dass die Preise wahrscheinlich im kommenden Jahr nicht mehr so rasant steigen wie zurzeit – aber der Zuwachs sich wahrscheinlich eine Weile noch deutlich oberhalb der von den Notenbanken angestrebten zwei Prozent bewegt.
„Vorübergehend“ heißt längst nur noch, dass es eben irgendwann vorbei ist mit Lieferengpässen, immer weiter steigenden Energiepreisen und dem Nachholkonsum der Lockdown-geschädigten Bevölkerung. Und genau das hat Powell mit seiner Bemerkung klargestellt.
„Wir benutzen das in der Regel, um zu sagen, dass es keine dauerhaften Folgen in Form einer höheren Inflation hat“, sagte Powell vor dem Bankenausschuss des Senats, um die Bedeutung des umstrittenen Wortes zu erklären. Weil das Wort aber so missverständlich sei, wolle er es lieber nicht mehr verwenden.: „Es ist Zeit damit aufzuhören, die Inflation als vorübergehend zu bezeichnen.“
Was, wenn er noch eine Kehrtwende machen muss?
Also, hat er eigentlich was Neues gesagt? Im Grunde nicht. Aber im Zusammenhang mit seiner Ankündigung, möglicherweise die Anleihekäufe zu beschleunigen, hatte seine Klärung – wenn es denn eine war – zumindest kurzfristig schon einen deutlichen Effekt auf die Märkte.
Ein Problem könnte Powell bekommen, wenn er von seinem strammeren Kurs wieder abweichen muss, weil die Corona-Pandemie mit der neuen Omikron-Variante wieder Fahrt aufnimmt. So besehen ist noch offen, ob der mächtige Fed-Chef in den Augen der Öffentlichkeit mit einem schlauen kommunikativen Trick seine Kritiker abgeschüttelt oder mit einer ungeschickten Bemerkung überzogene Erwartungen geweckt hat.